Mittwoch, 26. März 2008

Der Bariton Eike Wilm Schulte über das Singen

Eigentlich war es ein großer Zufall, dass Eike Wilm Schulte Sänger wurde. Als Kind erhielt er Klavierunterricht bei einem Lehrer, der den Chor der Musikhochschule Köln leitete. Im Unterricht beschäftigten sie sich auch mit der Liedbegleitung, irgendwann hat er selbst angefangen, Schubert-Lieder zu singen. Mit 19 Jahren zog es ihn als Student an die Musikhochschule. Schon vor dem Stimmbruch habe er eine sehr voluminöse Stimme gehabt, sagt er. Doch die musste erst einmal richtig ausgebildet werden. Bei Schulte, der mittlerweile an allen großen Opernhäusern gesungen hat und derzeit wieder an der weltberühmten Metropolitan Opera New York singt, verlief die Ausbildung reibungslos und im Rekordtempo. Gerade einmal vier Jahre hat er gebraucht. „Ich habe im Schnellverfahren studiert“, sagt er heute rückblickend aber ohne Reue. Denn ihm und seiner Stimme hat das nicht geschadet.

Zu seinem Glück gehörte, dass er in die Hände fähiger Lehrer kam. Vor allem dem Kammersänger Josef Metternich verdankt er viel. „Er hat die Stimme fokussiert und einen Stimmsitz geformt“, erinnert er sich. Wie bereitet er sich heute vor, wenn er auf die Bühne geht? „Das Einsingen ist ganz besonders wichtig“, betont er. „Viele Sänger machen das nicht“, weiß er aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung. Er nennt das „die Stimme wach machen“. Vor großen Partien beschäftigt er sich den ganzen Auftrittstag lang damit. Er erinnert sich an die Texte, geht den Part exakt durch. Auch dann schon kümmert er sich um sein Instrument. „Summen ist sehr gut für die Stimme“, so seine Erfahrung.

Den Beruf des Sängers sieht er ständiger Entwicklung unterzogen. „Wir müssen mindestens 150 Prozent Einsatz zeigen“, sagt er. „Nur 100 Prozent würde Stillstand bedeuten“, so seine Überzeugung. Zu den wichtigsten Ressourcen des Sängers gehört seine Gesundheit. Die kleinsten Anzeichen einer Krankheit müssen frühzeitig erkannt und bekämpft werden. „Wenn ich einen Infarkt bemerke, habe ich sofort ein gutes Mittel“, sagt er. Seine „Mittelchen“ habe er immer dabei, worum es sich dabei genau handelt, bleibt aber sein Geheimnis. Doch schon so mancher Kollege ist in diesen Genuss gekommen und konnte trotz anfänglicher Bedenken doch noch auf die Bühne. „Ich habe in meinem ganzen Leben vielleicht drei Mal eine Vorstellung absagen müssen“, sagt der Bariton stolz. Außerdem sei er schon 30 Jahre nicht mehr beim Arzt gewesen. „Ich kenne meine Stimme“, ist er überzeugt.

Eike Wilm Schulte ist mit Leib und Seele Sänger. Zwei Professuren und die damit verbundene bürgerliche Sicherheit hat er bereits abgelehnt. An der Musikhochschule Frankfurt hat er einen Lehrauftrag und ist stolz darauf, bereits mehrere seiner Studenten in ein Engagement gebracht zu haben. Er bringe ihnen vor allem die „Normalität des Singens“ bei, sagt er. Im Unterricht theoretisiert er nicht, sondern macht das, was er von seinen Schülern fordert, selbst vor. „Das ist für mich die beste Methode“, so sein Credo. Von abstrakten Anweisungen wie „Gaumensegel acht Grad Ost“ oder „Ton nach innen abstützen“ hält er nichts. Die Lehrtätigkeit ist für ihn nicht das Wichtigste im Leben „Ich will singen“, betont er unbeirrt. Manchmal kommen gestandene Sänger zu ihm, um sich einen Rat zu holen, meist geht es dabei um die Gestaltung bestimmter Rollen. „Das mache ich dann gerne“, sagt Eike Wilm Schulte.

Jungen Sängern empfiehlt er generell, älteren Kollegen vorzusingen, die sich bewährt haben. „Die haben eine Technik, die überlebt hat“, ist er sicher. Die Nachwuchs-Talente bedauert er indes für die seiner Ansicht nach nachteiligen Entwicklungen in den Theatern. Er beklagt, dass das Ensemble-Theater kaum mehr gepflegt werde. Oft komme es nur noch darauf an, einen jungen Sänger möglichst vielseitig verwenden zu können, um ihn dann nach wenigen Jahren weiter zu schicken. „Man kann auf gewisse Sänger-Persönlichkeiten nicht verzichten“, glaubt er und kritisiert die Haltung vieler Intendanten, die keinen Wert mehr darauf legten, solche Persönlichkeiten heran zu ziehen und zu halten. Er selbst ist seinerzeit nach Wiesbaden gegangen, weil es für ihn ein „Sänger-Theater“ war. Damals, so erinnert er sich gerne zurück, konnte man sogar Wagners „Ring des Nibelungen“ durchgehend mit eigenem Personal doppelt besetzen. Heute kommt man nirgendwo mehr ohne Gäste aus.

„Man muss einen jungen Sänger auf die richtige Bühne bringen“, fordert er. Denn wenn er wochenlang nur im Zimmer sänge, sei er noch lange nicht reif für die Bühne. Außerdem plädiert er dafür, dass sich Sänger nur von Lehrern des gleichen Stimmfachs ausbilden lassen sollten. „Ein Bariton muss zu einem Bariton gehen“, so seine Ansicht. Nur der könne seinem Schüler den richtigen Weg weisen. „Ich wurde in die richtige Richtung gelenkt“, ist er seinen Lehrern aus Köln und Salzburg noch heute dankbar. An den Städtischen Bühnen in Bielefeld, wo er sein erstes Engagement bekam, konnte er sich mit 25 Partien „frei singen“, wie er es nennt. „Man lernt am besten durch Praxis“, erklärt er.

Eike Wilm Schulte hat nie über sein Fach hinaus gesungen. „Mir ging es immer um den Stimmerhalt“, sagt er. Die Stimme dürfe man nicht überfordern, ist er fest überzeugt. Und auch trotz seines weltweiten Erfolgs und der jahrzehntelangen Erfahrung gibt es auch für ihn immer noch Neuland zu entdecken.


Veröffentlicht in "Extra" - monatliche Beilage der Verlagsgruppe Rhein-Main

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