Mittwoch, 26. März 2008

Schuberts "Winterreise" mit Alice Coote und Julius Drake in Frankfurt

Franz Schubert und Wilhelm Müller haben mindestens zwei Dinge gemeinsam. Beide wurden nur etwas über dreißig Jahre alt und hatten einen Hang zur Melancholie. Dichterworte inspirierten den Komponisten zur „Winterreise“, einem der wohl eindrucksvollsten Liedzyklen der Geschichte. In der Frankfurter Oper waren damit nun die Sopranistin Alice Coote und der Pianist Julius Drake zu hören.

Zunächst wirkt die Sängerin fast verschüchtert, als ob sie sich geniere, das gewichtige Werk vorzutragen. Doch es ist eine ganz besondere Annäherung. „Fremd bin ich eingezogen“, singt sie die erste Zeile und es wirkt in dem Moment, als würde sie damit beginnen, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Erst ein wenig scheu, dann immer sicherer und klarer formuliert. Julius Drakes zunächst kultivierte Beiläufigkeit festigt den Eindruck, täuscht aber nicht über die wohl überlegte Gestaltung hinaus.

Alice Coote, das merkt man bald, empfindet die kurzen Gedichte mit jeder Faser ihres Körpers nach. Sie unterstreicht ihren Vortrag mit harten Konsonanten, Die Zeile „Ei Tränen, meine Tränen“ singt sie kaum mehr, sondern spricht sie. Vorher hat Drake die Tränen sacht herunter tropfen lassen. Beide Künstler sprechen ihre Zuschauer mit großer Emotionalität direkt an. Verzweifelt und rastlos findet sich Alice Coote in der „Erstarrung“ wieder, begleitet ihren Vortrag mit einem geradezu irren Blick. Dann die geheimnisvolle Ruhe im „Lindenbaum“, die für einen kurzen Augenblick von einem Sturm unterbrochen wird, der sich doch bloß als kurzes Aufbäumen entpuppt. Hier wird ganz besonders deutlich, wie geschickt das Duo die Spannung weit über den jeweiligen Vortrag hinaus halten kann.

Drake sorgt für die Atmosphäre, lässt unruhige Bäche rauschen und Hähne krähen, seine dynamischen Kunstgriffe verblüffen immer wieder aufs Neue. Geradezu verstörend endet das Duo mit dem „Leiermann“, lässt das Publikum nach einem halb geflüsterten Vortrag fassungslos zurück.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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