Montag, 2. Oktober 2006

Nino Rotas "Florentiner Hut" in Weimar

Bei Komödien, die auf den ersten, zweiten und dritten Blick als belanglose Possen mit hohem Unterhaltungswert daher kommen, neigt Mancher gerne einmal dazu, nachträglich einen gesellschaftskritischen Sinn zu interpretieren. So ergeht es auch dem Stück von Eugène Labiche, das Nino Rota 1944 unter dem Titel „Der Florentiner Hut“ zur Oper werden ließ und das elf Jahre später in Palermo uraufgeführt wurde. Juliane Schunke reduziert die gesellschaftliche Überhöhung im Programmheft zur Weimarer Aufführung immerhin auf eine „Burleske der menschlichen Existenz“ oder „gnadenlose Entblößung allgemein-menschlicher Schwächen“. Mehr ist es sicherlich nicht.

In der Tat gibt es eine Menge Grund zur Schadenfreude in diesem temporeichen Stück, das hierzulande eher selten gespielt wird. Da versucht Fadinard, ein wohlhabender Pariser Bürger (Uwe Stickert), einen vermeintlich ganz besonderen Hut wieder zu besorgen, den zuvor sein Pferd aufgefressen hat. Das Pikante an der Situation: Die Besitzerin Anaide (Christiane Bassek) hatte ihn auf, als sie sich mit ihrem Liebhaber, dem Offizier Emilio (Alexander Günther) getroffen hat, wovon ihr Ehemann Beaupertuis (George Gagnidze) natürlich nichts erfahren darf. Der Zeitpunkt ist doppelt ungünstig, weil sich Fadinard mitten in seiner Hochzeit mit Elena (Heike Porstein) befindet, die ebenso wenig wie ihr Vater Nonancourt (Dieter Hönig) Verständnis für die Aufgeregtheit ihres Gatten aufbringen kann, deren Grund sie ja nicht kennt.

Was folgt ist eine turbulente Hatz quer durch das Paris des 19. Jahrhunderts, denn das gute Stück gibt’s nicht beim Hutmacher um die Ecke. Schließlich stellt sich heraus, dass das einzige Exemplar in die Hände von Vèzinet (Günter Moderegger), Elenas schwerhörigem Onkel in die Finger geraten ist, der es der Nichte zum Hochzeitsgeschenk mitgebracht hat. Am Schluss geht natürlich alles gut aus, der gehörnte Ehemann bleibt weiterhin uneingeweiht.

Musikalisch fährt Rota hier die Schwüle Puccinis auf, aber nicht etwa als plakatives Plagiat, sondern in Form einer intelligent illustrierenden Opernmusik, die auch allein ihre Wirkung erzielen würde. Das „Kino im Kopf“ stellt sich bei dem Meister der Filmmusik also auch hier ein. Unter der Leitung von Marco Comin gelingt der Staatskapelle Weimar eine süffige, gleichsam beschwingt-heitere Interpretation. Auch auf der Bühne präsentiert das Ensemble ein lustvolles Verwirrspiel auf darstellerisch und sängerisch ausgezeichnetem Niveau. Allen voran die Sopranistin Heike Porstein mit bezaubernd anschmiegsamem Timbre. Ihre strahlenden Höhen und souveränen Koloraturen rufen laut nach größeren Herausforderungen, ihr Spiel ist angenehm frei von standardisierten Theatergesten.

Ihr zur Seite steht mit Uwe Stickert ein engagiert spielender und ausnehmend belastungsfähiger Tenor. Dieter Hönig gibt einen köstlich bärbeißigen Buffo als ewig schlecht gelaunten Schwiegervater in spe aus, auch George Gagnidze mimt den betrogenen Ehemann in effektreich kauziger Manier. Nils Cooper hat ein weitestgehend entschlacktes Regiekonzept zu bieten. Er lässt das Stück für sich sprechen, ohne auch nur irgend einen Deutungsversuch zu unternehmen. Ebenso spartanisch fällt die Bühne von Thorsten Macht aus, der mit Trennelementen und Matratzenlager, einem hellen Mond, einer Laterne und zwei angedeuteten Balkonen auskommt. Als Kontrast zu dem aufgeräumten Bühnenbild, das von Mike Jezirowski behutsam ausgeleuchtet wird, hat Elena Meier-Scourteli fast verschwenderisch historische Kostüme erstellen lassen, die genau in dieser Kombination ihre ganze Wirkung entfalten können.

Veröffentlicht im Neuen Deutschland

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