Montag, 16. Oktober 2006

Mozarts "Idomeneo" am Staatstheater Wiesbaden

Was man verspricht, muss man auch halten. Das bekommen schon kleine Kinder beigebracht. Und gerade ein König sollte da schon Vorbild sein. Idomeneo ist keines. Der Kreterkönig schachert und verhandelt, nachdem sich sein Versprechen gegen ihn zu wenden scheint. Auf der Rückreise vom siegreichen Feldzug gerät der Kriegermonarch in einen Sturm, erleidet Schiffbruch und bietet Poseidon einen Handel an: Wen er nach seiner Rettung als erstes an Land trifft, den wird er opfern. Das Schicksal meint es nicht gut. Am Strand von Kreta wartet Idamante, sein Sohn, der in Idomeneos langer Abwesenheit das Reich erfolgreich regiert hat. Bis schließlich ein Deus ex machina das Dilemma löst, schwelt drei Akte lang ein intensiver Konflikt zwischen Staatsräson und einer Reihe von Spielarten der Liebe.

Da liegt einiges an Zündstoff drin, zumal die Dramenvorlage von Antoine Danchet der griechischen Vorlage auch noch eine Liaison des Kreterprinzen mit Ilia, der Tochter des besiegten und getöteten Trojanerkönigs Priamos hinzufügt. Für den Fortgang der Handlung geradezu hinderlich, also dramaturgisch umso herausfordernder ist da noch die vergebliche Liebe der zornigen Elektra, Tochter Agammemnons, die in der Kriegsgefangenen Ilia nichts als die Rivalin sieht.

In Wiesbaden ist es leider nicht einmal im Ansatz gelungen, mit der Mozart-Oper eine spannende Geschichte zu erzählen. Eine konzertante Aufführung hätte hier die gleiche Wirkung erzielt wie die ideenlose und uninspirierte Inszenierung von Cesare Lievi, der damit den seit 2002 am Staatstheater laufenden Mozart-Zyklus nach Zauberflöte, Figaros Hochzeit und Cosi noch eins draufsetzt. Kalt und abweisend ist seine Sprache, das allein wäre kaum einen Vorwurf wert. Doch dass er die handelnden Personen streckenweise unbeweglich und beziehungslos auf der Bühne vereinsamen lässt, macht einfach keinen Sinn und ist höchst ärgerlich. Emotionen? Fehlanzeige.

Lievi scheint gar nicht erst den Versuch zu unternehmen, das Stück zu sich nehmen zu wollen, verordnet seinen Protagonisten zudem zigfach gesehene hohle Bühnengesten. Ob er schlicht gelangweilt war? Die Figuren stehen so starr umher wie die Säulen des unterkühlt mondänen Bühnenbildes von Csába Antal. Manchmal werden sie hektisch, rennen, wie in der ersten Begegnung zwischen Vater und Sohn ziellos umeinander herum. Idamante wird zum blassen Gutmenschen, Idomeneo eher ein verwirrter Greis, denn ein zerrissener Monarch und verzweifelt liebender Vater. Auch und gerade in Marina Luxardos betont nüchtern gehaltenen zeitgemäßen Kostümen hätten gut verständliche Dialoge entstehen können. Stattdessen freudlose Tristesse.

Indem es Lievi nicht gelingt, Spannung zu erzeugen oder Momente zu inszenieren, in denen einfach einmal nicht gesungen wird, nimmt er „Idomeneo“ jedes Tempo. Als historisch fast rückwärts gewandten Beitrag zur Opera seria hat Mozart seinerzeit alle Register gezogen, damit das Auftragswerk, ein Beitrag zur höfischen Mannheimer Karnevals-Saison 1781, ein effektvolles Stück wird. Und nachdem Lievi diese Bemühungen 225 Jahre später erfolgreich untergraben hat, bemüht sich das Wiesbadener Ensemble nun nach Kräften, zu retten, was ging: Die Musik. Was bleibt ihnen auch anderes übrig.

Hier zumindest gibt es kaum Anlass zum Anstoß. Zur Titelpartie ist dem Haus ausgiebig zu gratulieren. Als Gast konnte der südafrikanische Tenor Kobie van Rensburg gewonnen werden. Er kennt die Rolle gut, war in der vergangenen Spielzeit damit etwa im Staatstheater am Gärtnerplatz in München zu erleben. Ihm gelingt es auch am ehesten, aus der verordneten Hilflosigkeit ein wenig auszubrechen. Stimmlich ist er fantastisch aufgestellt, überzeugt restlos in anstrengenden Koloraturen und ist auch nach bald drei Stunden Dauereinsatz noch unverkrampft und spielfreudig.

In der Rolle des Idamante überspielt Ute Döring rasch anfängliche Unsicherheiten, geht souverän mit der Situation um. Annette Luig erklimmt gerade in ihrer letzten Szene als von Eifersucht zerfressene Elektra beeindruckende Höhen, Jud Perry kann als Königsvertrauter Arbace vor allem mit etwas unwirklich schillernder Bühnenpräsenz Spuren hinterlassen. Unaufdringlich und anrührend füllt Thora Einarsdottir die Rolle der Ilia mit mädchenhaftem Charme aus, gestaltet die kleinen Wandlungen der ansonsten eher eindimensional angelegten Figur souverän und autark. Ihr angenehm weiches Timbre nutzt sie für eine Reihe erinnerungswürdiger Momente.

Generalmusikdirektor Marc Piollet und dem Hessischen Staatsorchester ist ein kultivierter, stets durchsichtig und ausgewogen gehaltener Klang zu verdanken. Historisch informiert und mit einem Höchstmaß an künstlerischer Beteiligung ausgestattet ist das Orchester ein empfindsamer Begleiter und präsenter Kommentator gleichermaßen. Ein solider Chor (einstudiert von Christof Hilmer) ergänzt die Produktion routiniert. Freundlicher Applaus.

Veröffentlicht in unterschiedlicher Fassung u.a. in Frankfurter Neue Presse und Main-Echo

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