Mittwoch, 4. Oktober 2006

"Requiem" von Karl Jenikns mit dem Chor von St. Bonifatius in Wiesbaden

Das Experiment ist geglückt. In St. Bonifatius war nun einmal ein so ganz anderes Requiem zu hören. Es stammt von Karl Jenkins, einem britischen Komponisten, der vor allem durch Musik für Ferseh-Werbung und die Popindustrie im Allgemeinen bekannt geworden ist. Doch das, was Gabriel Dessauer nun entdeckt und mit seinem Chor und dem Kammerorchester „arco musicale“ zum Tag der deutschen Einheit aufgeführt hat, ist fernab von vereinfachenden Melodien und Rhythmen, die auf den raschen Effekt zielen. Im Gegenteil: Die Wirkung dieser Musik entfaltet sich im sakralen Raum auf eine ungeahnt tiefgründige Art. Diese Musik ist leicht verständlich, wirkt aber nie banal.

Ein weicher, üppig dimensionierter Chorklang steht am Anfang des Werkes, schon hier vermittelt der Bonifatius-Chor einen ersten Einblick in seine dynamischen Möglichkeiten. Konsequent ausgesungene Spannungsbögen sind im „Kyrie eleison“ zu hören. Dann schon der erste harte Kontrast. Das „Dies Irae“ entpuppt sich als eine scharf pointierte Hip-Hop-Nummer, die in orchestraler Fülle daherkommt. Chromatisch aufsteigende Bläserlinien werden später von den Männern übernommen, dazwischen rammt das Chortutti präzise Einwürfe zu ostinaten Schlagzeugsequenzen. Der Satz gipfelt schließlich in einer pulsierenden Überlagerung der Stimmen und einem schroffen Abschluss. Spontaner Szenenapplaus ist die Folge.

Später wird es deutlich ruhiger, dem Chor gelingt es tadellos, die unterschiedlichen Charaktere der Sätze zu transportieren. Etwa die vielfachen Aufschreie im „Rex Tremendae“ und den gleichmäßig treibenden Dreiertakt, in den sie eingebettet sind. A capella wirkt das „Confutatis“ wie ein schlichter Choral, erhält dann mit instrumentaler Begleitung den Charme einer illustrierenden Filmmusik. Bis hin zum glatten, versöhnlichen Klang des Abschlusschores „In Paradisum“ liefern die Sängerinnen und Sänger eine ausgesprochen lebhafte Interpretation ab, die von ihren Kontrasten gleichermaßen lebt wie von der gut strukturierten Durchhörbarkeit des Klanges.

In den Requiem-Text hat Jenkins feine japanische Haikus eingeflochten, die wie filigrane Kleinode zwischen den Sätzen sitzen. Anton Dessauer (Knabensopran), Ute Steffan (Harfe) und Lars Asbjörnsen (Shakuhachi) gehen mit diesen kleinen Inseln äußerst behutsam um, treten dabei in vorsichtige Dialoge mit dem meist im akkuraten Piano verharrenden Chor ein. Das Instrumental-Ensemble fügt sich optimal in den Klang ein, übernimmt eine zuverlässig stützende Rolle. Gabriel Dessauer führt seine Ensembles mit großem Engagement und detailreichem Dirigat, das seine Wirkung nie verfehlt. Minutenlanger, herzlicher Applaus und stehende Ovationen in der bestens gefüllten Kirche.

Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tagblatt

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