Sonntag, 15. Oktober 2006

Anno Schreiers Oper "Kein Ort. Nirgends" nun auch im Mainzer Staatstheater

Und noch einmal „Kein Ort. Nirgends.“ Ein Aufguss des bereits gesehenen? Mitnichten. Im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters bleibt alles anders. Was Wochen zuvor am nahezu authentischen Ort in Oestrich-Winkel am Rhein funktioniert hat, wäre in der klassischen Bühnensituation nicht angekommen. Und so hat sich Regisseurin Anna Malunat erneut ans Werk gemacht und die Oper von Anno Schreier wieder uraufgeführt. Die Vorlage der Erzählung von Christa Wolf wurde von Librettist Christian Martin Fuchs auf wenige wesentliche Details ausgeschabt, womit ihm das scheinbar Unmögliche gelungen ist. Denn dass der subtil verfranste monologartige Text jemals auf die Bühne kommen könnte, hätte sich wohl kaum jemand vorher denken mögen.

Der Konflikt zwischen Anspruch und Realität, gesellschaftlicher Norm und persönlicher Emotionalität, in dem sich die jungen Dichter Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist zurechtfinden müssen, ist in Mainz zwar nicht so unmittelbar zu erleben, wie in der Brentano-Scheune, doch auch hier geht er nicht am Publikum vorbei. Konnte Anna Malunat dort noch den Raum als Bühne nutzen, wahrt sie hier die tradierten Grenzen. Ein unbestreitbarer Vorteil daran ist, dass die Musik nun viel unmittelbarer wirken kann, da sie, wie gewohnt, frontal vor dem Zuhörer erklingt.

Wieder ist Kleist „hautlos unter Menschen“, kann sich nicht wehren, ebenso wenig wie die Kollegin, die er im realen Leben nie kennen gelernt hat. Beide entziehen sich irgendwann durch Selbstmord. Dazwischen müssen sie auf teilweise stupide Realitäten und Rivalitäten acht geben, die sie nur vom Leben abhalten.

Dass sich neben dem fest engagierten Neuzugang Patrick Pobeschin (Kleist) ausnahmslos Mitglieder des Jungen Ensembles dieser Produktion angenommen haben, verleiht der Inszenierung eine eigentümliche Authentizität. Stehen sie doch biografisch an genau der gleichen Stelle wie die Figuren, die sie größtenteils verkörpern: Am Anfang ihrer Karriere. Anna Malunat, ebenfalls solide diesseits der 30, geht unverkrampft ans Werk. Mit einer gewissen Gelassenheit verführt sie ihr Publikum zum Zeitsprung. Vorne hängt Honecker, hinten wird Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert aufgefahren. Dazwischen wechseln die Protagonisten die Kostümierung nach Belieben.

Diana Schmid kann darstellerisch wie gesanglich als Günderrode überzeugen, verleiht ihr diesen seltsam unwirklichen Charme, Pobeschin hängt seine Figur sichtlich zwischen die Stühle. Gemeinsam mit Sonja Gornik, Sarah Kuffner, Daniel Jenz, Florian Rosskopp und Arthur Pirvu bilden sie ein optimal aufeinander eingespieltes, künstlerisch enorm leistungsfähiges Ensemble.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

Keine Kommentare: