Montag, 23. Oktober 2006

Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz

Jugendwerke werden entweder als Wegweiser eines früh erkannten Genies gewertet oder als dilettantische Fingerübung abgetan. Aber sie haben ihren Reiz. Vielleicht deshalb, weil wir es so faszinierend finden, wenn ein Teenager ein ganzes Orchester zum Klingen bringt. Franz Schubert und Felix Mendelssohn-Bartholdy haben das vollbracht, das Philharmonische Staatsorchester Mainz hat deren sinfonische Erstlinge nun als Klammer für sein zweites Sinfoniekonzert der Saison genutzt.

Dazwischen zwei Zeitgenossen. Ein jüngerer, der dem Mainzer Publikum seit seiner hier uraufgeführten Oper „Kein Ort. Nirgends“ ein Begriff ist. In Anno Schreiers „Nachtstück (Durchbrochene Szene 2)“ für Orchester spielen Zeit und Linearität eine untergeordnete Rolle. Es geht vielmehr um atmosphärische Streiflichter einer eher unwirklichen Situation. Ansätze, daraus auszubrechen, kommen nicht weit – sie verenden oder kumulieren. Beides sehr eindrucksvoll und kunstfertig. Skizzierte Nachtgestalten wirken flüchtig, egal ob sie pfeifen oder rumpeln, ob sie singen, hinken oder toben. Sie sind in ihrer bewussten Verschwommenheit merkwürdig real.

Ähnlich wie in den „Vier Fragmenten für Orchester“, die hier in ihrer revidierten Fassung uraufgeführt wurden, besticht Schreiers Tonsprache durch konzeptionelle Besonnenheit. Geschwätzigkeit oder Stereotype kommen nur als Parodie vor. Die bunte Collage der „Fragmente“ beherbergt auch Zitate älterer und jüngerer Meister, die in originaler, stark verknappter Form zum Zuge kommen. Virtuos spielt Anno Schreier mit dem Material Anderer und entwickelt damit eine eigene pointierte Klangkultur.

In den atmosphärisch dominierten Reigen fügt sich „La selva incantata“ von Hans Werner Henze bestens ein. Das Orchesterstück ist seiner Oper „König Hirsch“ entnommen und für den konzertanten Gebrauch extrahiert. Für die Streicher eine gut genutzte Möglichkeit, Präsenz und Stilsicherheit zu beweisen. Eine weniger glückliche Figur machten sie in Schuberts c-Moll-Ouvertüre für Streichorchester. Da fielen gerade die ersten Geigen durch unsichere Einsätze und Intonations-Mängel auf.

Zum Schluss die erste Sinfonie von Felix Mendelssohn-Bartholdy, in die Thomas Dorsch das Orchester mit süffiger Wucht einsteigen ließ. Auch das pulsierende Scherzo verfehlte seine Wirkung nicht. Dorsch trieb das Orchester mit weiträumigen Gesten an, arbeitete impulsiv und mit einem Höchstmaß an Engagement. Dass er dabei die Arbeit am Detail nicht aus dem Blick verlor, ließ sich an einem lebendigen Orchesterklang deutlich ablesen.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

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