Donnerstag, 25. Mai 2006

Uraufführung von Salvatore Sciarrinos "Kälte" bei den Schwetzinger Festspielen

Salvatore Sciarrino ist in Schwetzingen kein Unbekannter. Zwei Werke hat er hier uraufgeführt, jetzt stellte die Regisseurin Trisha Brown eine weitere Oper des Komponisten erstmalig bei den Festspielen vor. Für den Stoff hat der Komponist tief in die Geschichte gegriffen und den Kontinent gewechselt. Fündig wurde er im Japan Anfang des zweiten Jahrtausends. Die Gesellschaft ist im Umbruch, die großen Kriege scheinbar ausgefochten. Das Land erblühte und mit ihm seine Kultur.

In dieser Umgebung wächst Izumi Shikibu auf, die als Dichterin berühmt wird. Gleichzeitig steht sie in dem Ruf, eine große Anzahl Liebhaber, oft gar parallel, zu unterhalten. Aus ihren Tagebucheinträgen, Gedichten und Prosa, hat Salvatore Sciarrino „100 Szenen mit 65 Gedichten“ geschaffen. Der italienische Original-Titel wäre in „Vom Frost zum Frost“ zu übersetzen und spiegelt in Anlehnung an den japanischen Jahreszeitenkult den Verlauf einer Handlung über das Jahr hinweg wieder, nimmt gleichzeitig Bezug auf emotionale Befindlichkeiten. Der deutsche Titel ist schlichter: „Kälte“.

Die Handlung reduziert sich auf das Wesentliche. Izumi (Anna Radziejewska) und ein verheirateter Prinz (Otto Katzameier) verhandeln ihre Affäre in vielen Briefen und wenigen Begegnungen. Effektvoller Kunstgriff: Sciarrino lässt die handelnden Personen sowohl in ihren Briefen als auch im direkten Dialog sprechen. So erhalten sie eine Art doppelte Identität.

Schnell wird klar, dass hier ein Paar agiert, dessen Bedürfnisse und Erwartungen mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten aufweisen. Ihre Zusammentreffen finden bei unterschiedlicher Stimmungslage statt, selten kommt es zu einem aufeinander bezogenen Austausch. Die erotische Komponente zieht sich unterschwellig durch die Handlung – sie scheint der einzige Aspekt zu sein, auf den sich beide manchmal einigen.

Kommunikation findet in hastigen Stakkato-Sätzen statt, die meist verhalten bleiben. Selten sprudeln Bedürfnisse über. Das Stück endet in dem Moment, in dem der Prinz seine Kurtisane in den Palast geholt hat und die Affäre von einer Amme entdeckt wird. Da haben beide ohnehin bereits das Interesse aneinander verloren. Zu alltäglich ist ihre Beziehung, die sich über ein Jahr lang mit vielen Pausen und voller emotionaler Zwiespältigkeit hingezogen hat.

Musikalisch bleibt Sciarrino erstaunlich unaufdringlich, illustriert die Handlung mehr, als sie zu kommentieren. Das erhöht die Spannung auf der Bühne und lässt Raum, in das komplizierte Gefühlsgeflecht der Protagonisten einzudringen, die ebenso wie das Radio-Sinfonieorchester unter Leitung von Tito Ceccherini mit viel Engagement und künstlerischer Ernsthaftigkeit eine permanent fassliche Aufführung lieferten.


Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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