Sonntag, 7. Mai 2006

Liu Solas "Fantasy of the Red Queen" in Frankfurt

Das Ensemble Modern brachte Liu Solas „Fantasy of the red queen“ als Uraufführung und mit der Regisseurin in der Hauptrolle im Bockenheimer Depot auf die Bühne.

Die kleine Bühne mit der hohen Projektionsfläche im Hintergrund ist Mittelpunkt des Geschehens, das international besetzte Orchester aus Ensemble Modern und chinesischen Künstlern ist zu beiden Seiten angeordnet. Immer wieder werden einzelne von ihnen in das Geschehen mit einbezogen, das sich über insgesamt acht Bilder verteilt.

In einem Spezialkrankenhaus glaubt sich eine alte Frau (Liu Sola) an Stationen als Gattin des chinesischen „Großen Vorsitzenden“ Mao Tse-Tung zu erinnern. Ausgestattet mit unerwarteter Machtfülle, doch kaum akzeptiert von der Partei-Nomenklatura, rächte sich die ehemalige Tänzerin an ehemaligen Gegenspielern. Es geht um Ehrgeiz, Abhängigkeit von Einzelnen oder der Masse und um die Versuchungen, die künstliche Autorität mit sich bringt.

Liu Sola, deren Familie selbst unter den Auswirkungen der „Kulturrevolution“ zu leiden hatte, erliegt jedoch nicht dem Reiz einer künstlerischen Generalabrechnung. Ihre subtile Art der Entlarvung schlichter menschlicher Regungen paart sich hintergründig mit einem poetischen, gleichzeitig analytischen Ansatz. So führt sie mit der ehrgeizigen Krankenschwester (Wu Jing) gar eine Figur ein, die einen direkten Bezug zur Gegenwart ermöglicht. Auch ihr sind die Mittel einerlei auf dem Weg Ruhm – auch wenn es nur der eines Pop-Stars ist. Immerwährend fragend und fordernd bewegt sich ein Teufel (Zhen Jianhua) wie eine dramaturgische Klammer durch das Stück.

Musikalisch bindet Liu Sola unterschiedliche Elemente ein. Die Gu Qin, ein zitherähnliches chinesisches Saiteninstrument, sorgt für traditionelle Töne, wird aber auch perkussiv eingesetzt. Das üppig besetzte Ensemble mit hohem Bläser-Anteil fährt mit Blues-Adaptionen ebenso auf wie mit ostinater Untermalung eines Sprechgesangs. Harte Stakkati werden für revolutionäre Bilder gebraucht, dazu kommen lärmende Gesten. Dass das nicht lediglich eklektisch wirkt, ist der große Verdienst von Liu Sola, die mit großer Sorgfalt und Blick für musikalische wie szenische Details gearbeitet hat.

Sänger und Instrumentalisten überzeugen unter der gezielt effektvollen Leitung von Johannes Kalitzke durch Authentizität und Einsatz. Keine selbstverständliche Leistung. Denn die Dichte der Beziehungsgeflechte, die Liu Sola in Rückblenden, Video-Sequenzen (gemeinsam mit Lü Yue) und Klanggemälden strickt, fordert Einfühlungsvermögen und Professionalität aller Beteiligten gleichermaßen und ohne die geringste Pause.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Keine Kommentare: