Dienstag, 2. Mai 2006

Gespräch mit Giora Feidman

Seit über fünfzig Jahren steht Giora Feidman auf internationalen Bühnen. Der Klarinettist erreicht oft Menschen, die nicht zum traditionellen Klassik-Publikum zählen. So wurde er in Deutschland vielen durch die Film-Musik zu „Schindlers Liste“ bekannt, für die er 1993 den Oscar verliehen bekam. Ende vergangenen Jahres trat er vor 800.000 Menschen und dem gerade gewählten Papst Benedikt beim Weltjugendtag in Köln auf. Dort spielte er ein „Ave Maria“ und ein jüdisches Gebet. Symptomatisch für sein Verhältnis zu Kunst und Glaube.

„Musik ist keine Religion, aber Religion braucht die Musik“, erläutert er im Gespräch. Dass es ihm dabei nicht um eine einzig wahre Religion geht, streift er später wie selbstverständlich. „Es geht mir nicht um die Liebe zu einer Kirche oder einer Lehre, sondern um die Liebe zu Gott“, so sein Glaubensansatz. Seine Musik steht dabei in einem spirituellen Zusammenhang: „Als Musiker sind wir verantwortlich für die geistige Nahrung einer Gesellschaft“, ist er überzeugt. „Musik ist nicht die Frage, sondern eine Antwort“, schiebt er schnell nach.

„Es ist ein Prozess, immer wieder vor einem anderen Publikum zu spielen“, skizziert der 70-jährige Künstler. Seine Zuhörer bezeichnet er als „Freunde“, bei den meisten Konzerten sucht er den direkten Kontakt zum Publikum. Oft steht er eine Weile fast unbemerkt hinter den Reihen, bevor er langsam und scheinbar beiläufig zu spielen beginnt. Damit schafft er schon von Anfang an eine Atmosphäre, die familiär und für ihn so typisch ist. „Die Klarinette ist das Mikrofon meiner Seele“, bekennt Feidman eine sehr intime Auseinandersetzung mit seinen Konzerten. Denn wer einen solch absoluten Anspruch an seine Kunst hat, gibt sich immer auch ein wenig selbst preis und vertrauensvoll in die Hände seiner Zuhörer.

Stilistisch will er sich auch heute nicht zu sehr festlegen lassen. „Klezmer ist mehr als nur die Musik“, wehrt er sich gegen wohlfeile Verkürzungen. „Oder fühlen Sie sich plötzlich als Jude, nur weil Sie diese Musik hören?“, fragt er verschmitzt. Es gelingt ihm, einen Zugang zu unterschiedlichen musikalischen Spielformen zu finden, der klassische, volkstümliche und jazzverwandte Elemente ebenso berücksichtigt wie religiöse Aspekte.

Nachdenklich wird er, wenn er auf seine Wünsche für die Zukunft befragt wird. „Ich würde gerne in einer Welt leben, in der man sich versteht. Heute sind wir angesichts 28 offizieller Kriege weltweit weit davon entfernt“. Daher bewundert er vor allem Künstler wie Daniel Barenboim, der mit seinem „West-östlichen Divan“ gezielt mit Musikern aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen arbeitet und auch in Krisenregionen auftritt.


Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

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