Mittwoch, 10. Mai 2006

Henzes "Wundertheater" und Ullmanns "Kaiser von Atlantis" in Weimar

Zwei Mal geht es um die Verführung der Massen. Zwei Mal haben sich die Komponisten dieses Themas angesichts der Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg angenommen. Viktor Ullmann war betroffen, wie es unmittelbarer nicht sein könnte. Im Lager Theresienstadt interniert, wurde er später in Auschwitz ermordet. Als Lagerinsasse gelang es ihm, gemeinsam mit anderen Künstlern, die Proben zu zahlreichen Werken durchzuführen. Unter unvorstellbaren Bedingungen wurde hier Musik gemacht. Hans Werner Henze indes erlebte, wie sein Vater zum fanatischen Anhänger des neuen Geistes wurde.

In Weimar wurden nun zwei Werke der beiden Komponisten im e-Werk, einer Spielstätte des Deutschen Nationaltheaters aufgeführt. Das „Wundertheater“ schrieb Henze in einer ersten Fassung bereits 1984 als Sprechtheater mit Musik, später fügte er noch die Singstimmen hinzu. Hier werden in wenigen Szenen nichts anderes als des Kaisers neue Kleider verhandelt. Der Wundertheater-Direktor Chanfalla (Frieder Aurich) behauptet, dass nur wahre Christen und Kinder aus reiner Ehe seine fabelhaften Erscheinungen sehen können. Natürlich will sich keiner etwas anmerken lassen, alle fallen auf die Scharlatanerie herein. Bis ein Uneingeweihter hineinplatzt. Er wird als Außenseiter schnell zum Freiwild und entsprechend malträtiert. Udo van Ooyen hat das Geschehen in seiner ersten Weimarer Inszenierung zu einer „Reality-Soap“ gewandelt und effektvoll auch mit Video-Sequenzen aus der Handkamera gearbeitet. Das holt die Handlung nahe an die Lebenswirklichkeit der Zuschauer und wirkt damit trotz seiner komischen Elemente umso bedrückender. Ulrika Strömstedt hat hier einen gelungen Auftritt als Assistentin und kann mit sehr belastungsfähigem Alt überzeugen.

Auch bei Ullmanns „Kaiser von Atlantis“ kommt die Kamera zum Einsatz. Hier ist sie aber für mondäne Mitschnitte zuständig, die den Größenwahn des Kaisers Overall (Alexander Günther) greifbar machen. Der hat den Krieg aller gegen alle ausgerufen, was den Tod (Jens Söndergaard) zum Generalstreik herausfordert. Keiner kann mehr sterben, außer der Kaiser selbst opferte sich. Gemeinsam mit dem Harlekin (Uwe Stickert) ist der Tod arg herunter gekommen. In einem leeren Stadion durchwühlen sie in Udo van Ooyens Fassung die Mülltonnen nach Essbarem und erfreuen sich an Nacktmagazinen. Unter Overalls Ägide sind sie zu belanglosen Statisten degeneriert. Erst die Herausforderung des Krieges weckt zumindest den Tod wieder aus seiner Apathie.

Alexander Günther gibt den Kaiser mit großer, heller Stimme und operiert dabei von einer nüchtern-futuristischen Kommando-Brücke. Vom „Lautsprecher“ Andreas Koch, der als Bindeglied zur Realität fungiert, hört man in Zukunft hoffentlich noch mehr. Sein kraftvoller Bass-Bariton kommt hier nur selten voll zur Geltung.

Kapellmeister Marco Comin immer wieder einmal, mit seiner pointiert und wendig interpretierten Musik aus dem Schatten der Bühnengeschehens heraustreten. Die Mitglieder der Staatskapelle folgen ihm durch nicht immer ganz einfach nachzuvollziehendes Klangdickicht. Das bleibt dennoch in den meisten Fällen illustrierend, beide Werke setzten vor allem auf den Transport der Handlung. Vor allem Ullmann ist hier wieder einmal als raffinierter Klangparodist erkennbar – sei es bei der bis zur Unkenntlichkeit verfremdeten deutschen Nationalhymne oder einem geschickt verdrehten Bach-Choral. Weimar ist hier die Zusammenführung von zwei nahe beieinander liegenden Sujets gelungen.


Veröffentlicht im Neuen Deutschland

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