Mittwoch, 29. November 2006

Verdis Simon Boccanegra an der Deutschen Oper Berlin

Mit „Simon Boccanegra“ kann man es ja machen. Das ist schließlich eine derjenigen Verdi-Opern, die man selten auf der Bühne sieht und auf die sich wohl kaum jemand aus Beständen der privaten Gesamtaufnahmen-Sammlung intensiv vorbereitet hat. Doch denkste – das Publikum in der Deutschen Oper ließ es Regisseur Lorenzo Fioroni nicht durchgehen, dass sein Konzept hinten und vorne nicht stimmte und verhalf seinem Unmut bereits nach dem zweiten Akt lautstark zur Geltung. Dem Zuschauer verschloss sich an diesem Abend in der Tat gänzlich der Zugang zu Fioronis Zugang, auch das Programmheft-Studium bot wenig Aufschluss.

Doch zunächst einmal zum Stück selbst. Verdis 1857 uraufgeführte und 1881 in überarbeiteter Fassung noch einmal herausgebrachte Oper beruht auf dem gleichnamigen Schauspiel von García Gutiérrez aus dem Jahr 1339, in dem das Schicksal des ersten vom Volk gewählten Dogen von Genua behandelt wird. Die Urfassung traf seinerzeit nicht auf Begeisterung. Zu düster, zu spröde, so die Kritik. Daher die Überarbeitung, die schließlich den gewünschten Erfolg brachte. Ins Repertoire schaffte sie es jedoch nicht.

Der Korsar Simon Boccanegra wird zum Dogen gewählt, obwohl er sich grundsätzlich wenig für dieses Amt interessiert. Aber er hofft, damit endlich den gesellschaftlichen Rang zu erringen, der es ihm ermöglicht, die junge Adlige Maria zu heiraten. Die jedoch ist in der Gefangenschaft ihres standesbewussten Vaters Jacopo Fiesco gestorben. Dieser bietet dem verhinderten Schwiegersohn Versöhnung an, wenn der ihm die Tochter aus dieser Liaison überlässt, die wiederum verschwunden ist. Also wird nichts aus dem Tausch, die vererbte Fehde bleibt bestehen.

Erst ein Vierteljahrhundert später trifft Boccanegra auf seine tot geglaubte Tochter Amelia. Die hat sich mittlerweile in den Adligen Gabriele Adorno verliebt, der zu den erbitterten Gegnern des Dogen gehört. Boccanegra hat verständlicherweise Einwände gegen eine Hochzeit, verhindert aber, dass sein Weggefährte Paolo Albiani sie zur Vermählung mit ihm zwingt. Der sinnt auf Rache und lässt Amelia entführen, die kann sich befreien, Adorno hat in der Zwischenzeit den Entführer getötet und will nun gleiches mit Boccanegra tun, den er für seinen Rivalen um Amelias Gunst und deren Entführer hält. Amelia verhindert das, Paolo vergiftet den Dogen. Adorno erfährt von dem wahren Verhältnis zwischen Simon und Amelia, bittet den sterbenden Dogen um Verzeihung und wird dessen Nachfolger. Auch Fiesco muss nun sein Versprechen halten und versöhnt sich mit Boccanegra.

Im Zentrum stehen die Versuche Boccanegras, die Gräben zwischen Volk und Adel zu begradigen, wodurch er ständig zwischen dir Fronten gerät. Tragischerweise gelingt ihm die Versöhnung erst mit seinem Tod und der Vermählung zweier Vertreter unterschiedlicher Stände. In Fioronis Inszenierung spielt dieser Konflikt kaum eine Rolle, er wird, wie alles an diesem Abend, buchstäblich überrollt von der fixen Idee, das Ganze irgendwie mit Zügen zu realisieren. Alles spielt auf Bahnhöfen oder in einem Salonwagen, der seltsamerweise gleichzeitig Boccanegras Schlafzimmer wie auch der Beratungssaal des Senats ist. Solche eklektisch aneinander gereihten Inkonsequenzen gibt es hier zuhauf, um das mit einem gewissen realistischen Charme versehenen Bühnenbild von Cordelia Matthes ist das ziemlich schade. Wann bekommt man schon mal eine komplette Lokomotive auf der Bühne zu sehen?

Der Regisseur versucht in keinem Moment, die Beziehungsgeflechte in seine Szenen zu übersetzen, so dass hier ein historischer Stoff in einer mal mehr, mal weniger gegenwärtigen Kulisse stattfindet. Es gibt Cheerleader und jemand hat Sex auf der Lok. Gefangene landen im Kofferwagen, der Adel schießt mit altertümlichen Jagdflinten und telefoniert mit dem Handy. Zurück bleibt Ratlosigkeit. Bestimmt wäre das irgendwie realisierbar gewesen, doch etwas mehr Mühe hätte sich Fioroni geben müssen, diese Art der Arbeit ist schlichtweg schlampig.

Musikalisch gab es nichts zu bemängeln, alle Beteiligten mühten sich redlich durch die Produktion. Roberto Scandiuzzi stattete den gealterten Jacobo Fiesco mit profundem Bass und souveränem Spiel aus, Roberto Frontali war in der Titelrolle wandlungsfähig und ausgesprochen zupackend zu erleben. Besonders gefiel Tamar Iveri mit ihrem gleichermaßen zarten und innigen Sopran, Franco Farina verlieh dem Gabriele Adorno mit kraftvollem Tenor gezielt ungestümes Leben. Unter der Leitung von Yves Abel fuhr das Orchester der Deutschen Oper eine eindrucksvolle Kulisse zu dem emotionsgeladenen Ränkespiel auf, dem Chor hätte etwas mehr Aufmerksamkeit gut gestanden.

Veröffentlicht in Neues Deutschland

Keine Kommentare: