Mittwoch, 1. November 2006

Rimski-Korsakows Oper "Die Zarenbraut" in Frankfurt

Ja, Nikolai Rimski-Korsakow hat Opern geschrieben, auch wenn man das mit Blick auf deutsche Spielpläne allmählich vergessen könnte. Die Frankfurter Oper hat nun seine „Zarenbraut“ auf die Bühne gebracht, ein wuchtiges Stück, über das sich viele Fachlexika nach wie vor ausschweigen. Frankfurt schließt damit eine Lücke – denn hier wurde noch nie ein Stück des russischen Komponisten gespielt, wie Intendant Bernd Loebe vor Beginn der Spielzeit geäußert hatte. Darum durfte das Publikum gleich mehrfach gespannt sein. Die Inszenierung lag in den Händen des Norwegers Stein Winge, der in der vergangenen Spielzeit hier mit Smetanas „Verkaufter Braut“ debütierte. Jetzt hatte er ein üppig schwelgendes Werk vor sich liegen, das mit großen Gesten und viel Emotion daherkommt.

Zwei Frauen befinden sich im Fadenkreuz patriarchalischer Machtausübung. Marfa entstammt einer obrigkeitshörigen Familie und ist dem ebenso regimetreuen Adligen Lykow versprochen, den sie schon aus Kinderzeiten kennt. Beide fügen sich jedoch dem Willen des Zaren, der Marfa zu seiner Braut erwählt hat. Ljubascha ist im Gegensatz dazu eine Kämpfernatur. Sie wurde von Grjasnoi, einem Mitglied der berüchtigten zaristischen Geheimpolizei auf einem Raubzug erbeutet, der nun aber ein Auge auf Marfa geworfen hat. Die Zurückgestoßene, die sich mittlerweile in ihren Eroberer verliebt hat, will ihn nicht aufgeben, sondern sinnt auf Rache. Sie vergiftet schließlich die Rivalin, der sie ein Liebespulver, das Grjasnoi für die Angebetete vorbereitet hat, mit einer tödlichen Substanz vertauscht.

Zu Beginn der Inszenierung kann der Zuschauer noch eine zeitgemäße Interpretation mutmaßen. Die Feier Grjasnois findet in einer Art Nachtclub statt, die gefürchteten „Opritschniki“ wirken wie eine mafiöse Schlägerbande. Schon im ersten Akt konfrontiert Stein Winge sein Publikum mit einer minutenlangen Vergewaltigungsszene. Während die zaristische Privatarmee ihr rituelles Lied singt, vergehen sich ihre Mitglieder der Reihe nach an einem wahllos von der Straße geholten Opfer, das anschließend per Kopfsschuss „entsorgt“ wird. Das bleibt aber weitestgehend die einzige Situation, in der sich der Regisseur Eigenmächtigkeiten erlaubt. Später gerät der Verlauf gänzlich konventionell, von der Bojaren-Datscha bis zum Zarenpalast. Ein merkwürdiger Bruch, der sich auch während der Premiere nicht von selbst erklärt. So scheint es, als habe Stein Winge mitten in der Arbeit einfach seine Meinung geändert.

Musikalisch erlebte das Premierenpublikum ein wahres Sängerfest. Als Marfa brillierte Ensemble-Mitglied Britta Stallmeister stimmlich absolut überzeugend und szenisch wandlungsfähig bis zum sich hinziehenden Zerfall. Ihr Abschiedslied in den letzten Zügen der Vergiftungsfolgen gerät ergreifend und innig. Kraftvoll gibt Johannes Martin Kränzle den Opritschnik Grjasnoi, den er mit kernigem Volumen ausstattet. In der Rolle der Ljubascha war die russische Mezzosopranistin Elena Manistina erstmals in Frankfurt zu hören. Vom A capella vorgetragenen Todessehnsucht-Lied im ersten Akt an beeindruckte sie durch sangliche Tiefe und eine enorme Bühnenpräsenz. Michail Jurwoski, kürzlich als Chefdirigent an das WDR-Rundfunkorchester verpflichtet, spornte das Museumsorchester zu wuchtigen Klangkulissen an, die aber auch immer wieder differenzierter Ensemblebegleitung wich. Ein präzise und spielfreudig agierender Chor komplettierte eine musikalisch kompromisslos gelungene Produktion.


Veröffentlicht in der Wetzlarer Neuen Zeitung

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