Montag, 6. November 2006

Minimal-Jazz in epischer Breite. Das Tord Gustavson Trio in Mainz

Die drei Herren lassen sich Zeit. Wenn eine Sinfonie oder Sonate eine Dauer von 20 Minuten und mehr aufweist, dann wundert sich wohl niemand darüber. Im Gegenteil: das muss so sein. Im Jazz ist das anders. Wer epische Längen anpeilt, sollte auf jeden Fall auch das musikalische Material dafür zu bieten haben. Beim Tord Gustavson Trio ist das so eine Sache. Minimalistische Klavierakkorde vom Namensgeber, verträumte Bass-Tupfer von Harald Johnsen und sinnierende Besenschläge aus Jarle Vespestads Händen ergeben zusammen eine elegische Melancholie, die zuweilen deprimierend wirkt – zumal fast immer in Moll gehalten.

Die norwegischen Musiker haben die Langsamkeit gepachtet und weichen auch im Frankfurter Hof nur in äußerst seltenen Ausnahmen von ihrer selbst gewählten Regel ab. Ewig ziehen sich Melodie-Einfälle, die dann auch noch in ihre Bestandteile aufgelöst, nahezu atomisiert auf unzählige Takte ausgebreitet werden. Das wirkt detailreich, ist aber oft nur die zigfache Wiederholung ein und derselben Idee, manchmal mit dezenten Variationen, ganz selten einmal in neuer Verarbeitung oder Durchführung.

Die Beschaulichkeit ihres Spiels enthebt die drei Musiker der Notwendigkeit, sich mit besonderer Virtuosität zu brüsten. Darüber zumindest scheinen sie absolut erhaben. Derart verinnerlicht und oft seltsam abwesend, wie vor allem Tord Gustavson wirkt, begibt sich das Trio vornehmlich in eine ganz eigene Welt. Sie spielen, so hat es oft den Anschein, vor allem für sich selbst, sie probieren gerne in aller Behutsamkeit neue Gabelungen nach der einen oder anderen Improvisation aus, scheinen sich während des Spiels ausreichend Gedanken über die Akkordfolgen machen zu können.

Was dabei musikalisch heraus kommt, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Es braucht schon viel Einfühlungsvermögen und Bereitschaft zur Aufgabe gewohnter Tempovorstellungen und Erwartungen, um sich ein komplettes Konzert lang den Vorgaben des Trios anzupassen. Hier sind Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltewille gleichermaßen gefragt. Zwar verpasst man nichts, wenn man mal kurz einnickt oder ein Getränk holt, doch wer einmal den Versuch unternommen hat, sich für einen Moment dieser Musik zu entziehen, um dann wieder dazu zu stoßen, hat feststellen müssen, dass er dabei in atmosphärische Schwierigkeiten gerät.

Sei’s drum. Zeitgenossen, die sich einmal so überhaupt nicht um auch im Jazz mittlerweile eingebürgerte Taktungen zwischen drei und zehn Minuten scheren möchte, werden hier gut bedient. Das Tord Gustavson Trio gibt sich nicht mit Häppchenkultur zufrieden, sondern will jedes Stück Musik bis zum letzten Tropfen auskosten. Und sei noch so wenig darin an Neuem und Aufregendem enthalten. Muss ja auch nicht immer.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

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