Dienstag, 5. Mai 2009

Konstanze Lauterbach inszeniert Alban Bergs Oper „Lulu“ zur Eröffnung der Wiesbadener Maifestspiele als packendes Psychodrama.

Die Geschichte taugt zum Krimi. Lulu kommt von ganz unten, steigt durch kluge Heiratspolitik eines wohlhabenden Gönners gesellschaftlich auf, verführt ihren Förderer und richtet ihn psychisch wie physisch zu Grunde. Als Mörderin entlarvt landet sie nach einem kurzen Ausflug in die dekadent zugespitzte Welt der Börsenspekulanten dort, wo sie hergekommen ist: in der Gosse. Alban Berg hat seine zweite und letzte Oper aus Frank Wedekinds Tragödien „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ gezogen, allerdings nie vollendet. Der Torso wurde 1937, eineinhalb Jahre nach Bergs Tod, in Zürich uraufgeführt. 1979 kam das komplette Werk, das dann von Friedrich Cerha ergänzt worden war, in Paris zur Uraufführung.

Konstanze Lauterbach hatte nun die Inszenierung zur Eröffnung der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden übernommen. Für das Wiesbadener Publikum ist sie freilich keine Unbekannte. Hier hat sie neben einigen Schauspielen gerade vor einem halben Jahr Jules Massenets Oper „Werther“ inszeniert. Mit „Lulu“ gelingt ihr jetzt eine enorm eindringliche Fallstudie. Ihrer körperlichen Reize voll bewusst, mauschelt sich Lulu von einer Affäre zur nächsten, hinterlässt buchstäblich Leichen, wo immer sie sich nieder gelassen hat. Zu diesem Psychothriller hat Andreas Jander ein farbenprächtiges, kraftvolles Bühnenbild modelliert, in dem die mitunter tragischen Zusammenhänge umso kontrastreicher wirken. Das blühende Leben ist nach und nach dem Verfall preisgegeben, was sich auch deutlich auf der Bühne widerspiegelt.

Lulus unschuldige Aspekte finden gleichermaßen ihren Ausdruck. Ein Plüschtiger und ein Schaukelpferd stehen dem erotischen Gemälde gegenüber, das der Maler, der sich ihretwegen selbst getötet hat, einmal geschaffen hat und damit kurzzeitig zu Reichtum gekommen ist. Eine geradezu übermenschliche Leistung vollbringt an diesem Abend die überragende Emma Pearson in der Titelpartie. Mit großem Applaus wird schließlich ihr nie einbrechender Einsatz gewürdigt. Stimmlich ist sie souverän und pointiert, als Schauspielerin in einer authentischen Art wandelbar, wie sie deutlicher kaum darstellbar sein dürfte. Ute Döring ist ihr in der Rolle der Gräfin Geschwitz bemitleidenswert hörig, Erin Caves stellt den tragisch fallenden Alwa emotional packend dar. Dr. Schön, der leidende Förderer des Gossenkindes, findet in Claudio Otelli einen bitter konsequent auftretenden Darsteller.

Insbesondere das Orchester kann unter der Leitung von Generalmusikdirektor Marc Piollet einmal mehr mit Raffinesse und zielgerichteter klanglicher Ausgestaltung überzeugen. Das für das menschliche Ohr nicht immer leicht nachvollziehbare 12-Ton-Geflecht erlebt in seiner Interpretation eine effektvolle wie klug durchschaute Deutung und Vermittlung. Das Drama wird dadurch erst begreiflich.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

Keine Kommentare: