Sonntag, 12. August 2007

Alfred Brendel im Wiesbadener Kurhaus

Sein Repertoire beginnt bei Bach und endet bei Schönberg. Was zunächst nach einer vorweg genommenen Reduzierung aussehen mag, hat sich bei Alfred Brendel als eine im heutigen Musikleben ungewöhnliche Freiheitsbezeugung heraus gestellt. Während sich andere Pianisten vielleicht auf der Suche nach dem Neuen in der Moderne verlieren, gelingt es dem erfahrenen Musiker immer wieder, im scheinbar Bekannten noch eine ungehörte Nuance zu finden, einen weiteren Weg zu entdecken. Im Wiesbadener Kurhaus zeigte er bei einem auf den ersten Blick konventionellen Wiener-Klassik-Programm, was sich aus Haydn, Beethoven, Schubert und Mozart an Gegenwart erleben lässt.

In der Haydn-Sonate c-Moll (Hob. XVI:20), die der Komponist anfing und lange liegen ließ, bevor er sie zuende brachte, stellt Brendel Fragen, horcht ganz genau nach, was auf dem Grunde der Musik zu finden ist. Unglaubliche Spannung holt er aus der Langsamkeit des Mittelsatzes heraus, setzt bei Dynamik und Tempo weniger auf Kontraste, sondern auf das behutsame Abtasten. Präzision und Leichtigkeit prägen gleichermaßen sein Spiel.

Die anrührende Melodie zu Beginn der Sonate As-Dur op. 110 von Ludwig van Beethoven zelebriert er formvollendet, lässt sie schweben und sanft in die perlenden Läufe übergleiten. Auch hier steht der fließende Prozess im Vordergrund. Das Fugenthema am Schluss, das Brendel sauber herausschält, scheint sich zwischenzeitlich auf sich selbst zu besinnen, eine innere Ruhe zu finden, um dann neu gestärkt aus dem Nichts wieder aufzutauchen.

Zwei Impromptus aus dem D 935 von Schubert passen genau in diese Atmosphäre. Beschwingte Momente und meditatives Versinken können wohl nur wenige derart authentisch aneinander reihen wie Brendel im f-Moll-Impromptu Nr. 1. Im populären Impromptu Nr. 3 in B-Dur kommt wieder diese Schwerelosigkeit wie Anfangs bei Beethoven zum Tragen. In Mozarts Sonate c-Moll KV 457 ist Brendel schließlich fraglos beheimatet. Mal energisch, mal verspielt durchlebt er dieses Werk, macht es zu einem persönlichen Anliegen. Und genau dieser Wesenszug ist es, der ihn auch in 76. Lebensjahr zu einer der faszinierendsten Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart macht.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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