Freitag, 20. März 2009

Zwei Orchester, ein Klangkörper...

Das Konzert wirkt ein wenig wie die lange erwartete öffentlich wirksame künstlerische Legitimation einer politischen Entscheidung. In der Phönix-Halle waren so viele Stühle aufgestellt worden, die allein vom Philharmonischen Staatsorchester Mainz nicht hätten besetzt werden können. Doch Dank der Orchesterreform, die seinerzeit nicht nur Befürworter gefunden hatte, brauchte man nicht auf Heere von Aushilfen zurück zu greifen, um auf die 120 Musiker zu kommen, die notwendig sind, um Dmitrij Schostakowitschs Sinfonie Nr. 4 c-Moll op. 43 aufführen zu können. Denn seit der Reform ist das Orchester eng mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie Koblenz verbunden. „Zwei Orchester, ein Klangkörper“, lautete dann auch euphorisch der Titel des Konzertes, das musikalisch ganz weit in den Osten deutete.

Doch zunächst nahmen vor allem die Gäste aus Koblenz Platz, um unter der Leitung ihres Chefs Daniel Raiskin das Konzert für Violine und Orchester d-Moll von Aram Chatschaturjan zu spielen. Das Werk hat dem berühmten Geiger David Oistrach einige Bekanntheit zu verdanken, steht ansonsten aber, wie eigentlich alle Werke Chatschaturjans, im Schatten seines „Säbeltanzes“. Als „volksfremd und formalistisch“ wurde er übrigens ähnlich wie Schostakowitsch Ende der 1940er Jahre in der Sowjetunion von politischer Seite hart bedrängt.

Das Orchester beeindruckte hier mit bissigen Einsätzen, der Solist Vadim Gluzman mit überlegenen virtuosen Passagen. Scheinbar mühelos schien ihm das Stück von der Hand zu gehen, gleichzeitig legte er ein hohes Maß an Empathie an den Tag. Das hellwache Orchester beteiligte sich an gewitzten Dialogen mit seinem Solisten, gemeinsam wurden krasse rhythmische Veränderungen präzise und mit großer Begeisterung umgesetzt. Furiose Solopassagen im Schluss-Satz mit rasanten, nicht enden wollenden Akkordbrechungen sorgten für stürmischen Applaus, der aber sicherlich auch dem Orchester galt, das dem Werk einen pulsierenden Charakter verlieh.

Schostakowitsch war schon 1936 mit den Stalinisten in Konflikt geraten. Er wählte den Weg der „inneren Emigration“, die in Lippenbekenntnissen zum System, aber auch in mehr oder weniger offen in seinen Kompositionen versteckter Kritik Ausdruck fand. Gerade in diese Zeit fiel die Komposition seiner vierte Symphonie, die mit ihrer fast einstündigen Spieldauer allein von der Dimension her einen Höhepunkt seines Schaffens darstellte. Die beiden vereinigten rheinland-pfälzischen Orchester konnten die mitunter surreal anmutende Klangsprache Schostakowitschs ungemein auftrumpfen lassen. Die kontrastreichen und oft scharf gegen einander konkurrierenden Motive wurden dabei nie der Beliebigkeit preisgegeben. Im Gegenteil: schlüssig und konsequent führte Daniel Raiskin das üppig besetzte Orchester zum Ziel Der Komponist hatte sein Werk seinerzeit übrigens selbst zurück gezogen und erst 1961 uraufführen lassen. Die Klangsprache schien Ende der 1930er Jahre noch keine Chance auf Akzeptanz gehabt zu haben.

Veröffentlicht u.a. in der Mainzer Allgemeinen Zeitung

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