Dienstag, 5. Dezember 2006

Felsenstein-Kolloquium in der Komischen Oper Berlin

Die Geschichte der Komischen Oper Berlin ist eng mit dem Namen Walter Felsenstein (1901-1975) verknüpft. Ihm verdankt sie ihre Gründung ebenso wie ihre erste Blüte. Felsenstein prägte eine eigene Schule der modernen Opernregie, viele seiner Inszenierungen wurden als modellhaft gesehen. Mit der Komischen Oper war es ihm gelungen, sich weitestgehend die Arbeitsbedingungen zu schaffen, die er für die Umsetzung seiner Vorstellungen benötigte. Die gleichberechtigte Kommunikation zwischen Text und Musik war ihm zwingend notwendiges Gebot. „Musiktheater ist, wenn eine musikalische Handlung mit singenden Menschen zur theatralischen Realität und vorbehaltlosen Glaubhaftigkeit wird“, so sagte er einmal. Damit orientierte er sich an den Vorstellungen des Theaterreformers Konstantin Stanislawski. Zu seinen unmittelbaren und indirekten Schülern und Nachfolgern zählen Joachim Herz, Götz Friedrich und Harry Kupfer.

Die Freie Universität (FU) Berlin und die Komischer Oper machten nun Person und Werk Felsensteins zum Ausgangspunkt eines zweitägigen Kolloquiums unter dem Titel „Realistisches Musiktheater – Geschichte, Erben, Gegenpositionen“ in Berlin. Ausgehend von ihm wurde bei dieser Veranstaltung lebhaft über Konsequenzen aus seiner Arbeit und deren Auswirkungen auf heutige Inszenierungen debattiert. Hierzu waren zahlreiche renommierte Theatermacher, Fachautoren und Wissenschaftler eingeladen worden, die aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln heraus ihren Beitrag zur Diskussion leisteten, die breit zwischen theoretischen Konstrukten und praktischer Anschauung gestreut war.

Insbesondere die Beiträge von Joachim Herz brachten neben anekdotischen Schilderungen auch zahlreiche inhaltliche Aspekte zutage, die Felsenstein auch unter heutiger Betrachtung sehr aktuell erschienen ließen. Herz kam 1953 als Assistent für Felsensteins „Zauberflöten“-Inszenierung an die Komische Oper, prägte zwischen 1959 und 1976 als Operndirektor die Musiktheater-Aufführungen in Leipzig, um von 1976 bis 1981 als Intendant an die Komische Oper zurück zu kehren. „45 Minuten Fossilienkunde“ nannte er launig seinen Eröffnungsvortrag, der dann doch so viel mehr werden sollte. Auch seine Diskussionsbeiträge waren die komplette Veranstaltung über stets bereichernd.

„Ich habe den Begriff des realistischen Musiktheaters von Felsenstein nie gehört“, stellte er gleich zu Beginn fest. Vielmehr sei es ihm stets um ein „nachvollziehbares Verhältnis zwischen Text, Musik und Aktion“ gegangen, betonte er. Ein Ziel sei es dabei gewesen, „die Wahrheit des menschlichen Vorgangs“ zu vermitteln. Dabei habe er auch nie vor Eingriffen in die Musik zurück geschreckt. „Auf der Bühne erwarten wir die Sinnsuche, weil uns das im Leben nicht mehr passiert“, gab er nicht zuletzt mit Blick auf aktuelle Inszenierungen zu bedenken. Dabei gehe es nicht immer darum, ein Werk möglichst zeitgemäß oder möglichst historisch zu deuten. Die Grundlage sieht Herz woanders: „Wir müssen versuchen, ein Werk, das es schon gibt, für Menschen von heute lebendig zu machen.“

Dabei ist die Wahl der Mittel genau zu erwägen. Auch Jens Roselt, Geschäftsführer des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“ an der FU gab in seinem Beitrag zu bedenken: „Eine realistische Deko allein macht noch kein realistisches Theater.“

Robert Sollich, Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ ging mit Peter Konwitschny auf ein Gegenmodell zu Felsensteins Erben ein. „Realistisches Musiktheater war das, was der Fall war“, brachte er seine persönlichen Erfahrungen aus den 80er Jahren, der Epoche seiner eigenen Opernsozialisation, zu Protokoll. „Peter Konwitschny ist von der Grundtendenz her anti-illusionistisch“ versuchte er eine grundsätzliche Einschätzung. Dabei nahm er etwa auf seine Wozzek-Inszenierung von 1998 an der Hamburgischen Staatsoper Bezug, in der er vollständig auf Kulissen und Kostüme verzichtete. „Bei ihm tritt der Darsteller wieder hinter seiner Rolle hervor“, konkretisierte er auch den Gegensatz zu Felsenstein. Schließlich könne Oper „produktive Reibungen zwischen Gesehenem und Gehörtem“ riskieren. Auch damit könne es gelingen, ein Publikum aus seiner Lethargie aufzuwecken. Sollich will die „Irrealität nicht als Manko, sondern als Chance“ verstanden wissen: „Die verkehrte Welt könnte die bessere sein“, gibt er damit zu bedenken.


Veröffentlicht in Oper und Tanz

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