Montag, 11. Dezember 2006

Antonio Vivaldis "Motezuma" in Schwetzingen

Lange hat es gedauert, bis aus der musikwissenschaftlichen Sensation musikdramatische Realität werden durfte. 2002 wurde Vivaldis Oper „Motezuma“ im gerade aus Kiew wieder zurück gebrachten Archiv der Berliner Singakademie entdeckt, es entspannte sich rasch ein hässlicher Streit. Nicht etwa um Fragen der Authentizität oder Rekonstruktion, sondern um die Aufführungsrechte, die von der Singakademie seinerzeit reklamiert und zunächst gerichtlich durchgesetzt worden ist. Erst im Sommer vergangenen Jahres wurde das Werk dann von Gerichts wegen frei gegeben und beim Düsseldorfer Altstadtherbst szenisch zum ersten Mal wieder aufgeführt.

Ein Drittel der Musik jedoch ist nach wie vor verschollen und so bediente sich das Heidelberger Stadttheater bei seiner Produktion im Schwetzinger Schloss nun eines Kunstgriffs, denn der Meister wohl kaum übel genommen hätte. Der in Mainz an Klavier und Hammerflügel ausgebildete 25-jährige Komponist Thomas Leiniger, der seine Studien an der renommierten Schola Cantorium Basiliensis vervollständigte, hat die fehlenden Teile nun dazugeschrieben. Dabei hat er Ausschnitte vorhandener Vivaldi-Werke entliehen oder schlichtweg bestehende Strukturen und Phrasen miteinander verknüpft und ausgebaut. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, Vivaldi selbst hat, ebenso wie die meisten seiner Zeitgenossen, immer wieder eigene Stücke neu gefasst oder miteinander kombiniert. Eine Notwendigkeit der Produktionsdichte.

Die Handlung erschien schon seinerzeit märchenhaft und als historischer Unsinn. Kaiser Motezuma unterliegt nach längerem Hin und Her dem spanischen Eroberer Fernando, dessen Bruder Ramiro mit Motezumas Tochter Teutile eine heimliche Liaison eingegangen ist. Am Ende darf Motezuma als Vasall des spanischen Königs Mexiko weiter regieren, unter der Bedingung dass das junge Paar heiraten kann.

Für diese Produktion sind die Musiker des Stadtorchesters eigens zu Barockspezialisten geworden und meistern ihre Aufgabe erstaunlich zupackend und lebendig unter der Leitung von Michael Form, der im übrigen knapp zehn Jahre lang an der Mainzer Universität unterrichtet hat. Mit der Regie wurden der mexikanische Regisseur Martín Acosta, für Bühne und Kostüme zeichnet sein Landsmann, der Papier-Experte Humberto Spínola verantwortlich.

Die Inszenierung versucht, die Zeitachse der Handlung ein wenig zu brechen, indem sie die Akteure als eine Art wiederbelebte Figuren aus einem Museum ausbrechen lässt. Sie agieren in knallbunten Kostümen inmitten drehbarer, seitlich aufgebauter Stellwände, die mal golden glänzen, mal mit Ornamenten und Symbolen verziert sind und begegnen darin immer mal wieder Figuren der Gegenwart, ohne sich weiter um sie zu kümmern.

Während die szenische Umsetzung bei aller Exotik manchmal etwas ungelenk wirkt, behauptet sich das Ensemble sängerisch bemerkenswert selbstbewusst und ansprechend. Sebastian Geyer fehlt zwar in der Titelrolle etwas die barocke Färbung, er ist eher machtbesessener neuzeitlicher Held, doch zeigt er sich der Aufgab über die lange Strecke hinweg gewachsen. Jana Kurucová verfügt über die Wandlungsfähigkeit, die ihr die Hosenrolle des Ramiro abverlangt, Michaela Maria Mayer besticht als Teutile mit brillantem Timbre. Etwas dunkler gefärbt und für die Rolle des mexikanischen Generals Asprano fast schon zu sinnlich, aber einfach schön anzuhören: Silke Schwarz.

Veröffentlicht in der Allgemeinen Zeitung Mainz

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