Dienstag, 19. September 2006

Das Frauenorchester von Auschwitz als Oper in Mönchengladbach

Es ist der Bruch eines Tabus. Das Leiden von Millionen von Menschen, die vom Naziregime gefoltert und ermordet wurden, eignet sich nicht für einen glanzvollen Abend vom Zuschnitt einer Oper. Diese Annahme wollten die Brüder Clemens und Stefan Heucke widerlegen. Der Historiker Clemens hat nach Fania Fénelons Roman „Das Mädchenorchester in Auschwitz“ ein Libretto geschrieben, von Stefan stammt die Musik zu dem leicht veränderten Titel „Das Frauenorchester von Auschwitz“. In Jens Pesel, dem Generalintendanten der Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld Mönchengladbach haben sie einen Regisseur gefunden, dessen wirkungsvolle wie umsichtige Realisierung nun in Mönchengladbach ihre umjubelte Premiere feierte.

Ja, umjubelt! Und sicherlich lässt sich darüber streiten, ob es eine angemessene Würdigung der künstlerischen Leistung angesichts des historisch-gesellschaftlichen Hintergrundes ist, mit Bravos, gellenden Pfiffen, stehenden Ovationen und rhythmischem Klatschen das dreistündig dokumentierte Grauen zu feiern wie eine triumphale „Aida“. In Mönchengladbach hat man sich dazu entschieden, auch die Abendspielleitung sah es nicht geboten, dem entgegen zu wirken.

Zuvor aber war eine gefährliche Gratwanderung alles in allem durchaus gelungen. Auch wenn sich Anita Lasker-Wallfisch, Cellistin im Auschwitz-Orchester im Jahr 2000 bereits ablehnend gegen das Heucke-Projekt geäußert hatte. Nicht aus grundsätzlichen Überlegungen, sondern weil sie die Darstellungen Fania Fénelons in weiten Teilen als diffamierend ablehnte. Vor allem die Rolle der Dirigentin Alma Rosé, die von Fénelon als weitestgehend SS-hörig geschildert wurde, behagte der Musikerin nicht. „Ihr haben wir unser Leben zu verdanken“, betonte sie vor der Premiere noch einmal. In einem intensiven Kontakt mit den Autoren hat sie ihr Veto geltend gemacht, auch wenn das Ergebnis streckenweise noch deutlich die Fénelon’sche Handschrift trägt.

Die Musik zu dem Zweiakter erweist sich als überwiegend konventionell, verharrt als dienstbare Filmmusik mit klangmalerischer Illustration unter Zuhilfenahme perkussionistischer Akzente. Gut funktioniert die Einbindung eines Bühnenorchesters in Original-Besetzung mit Streichern, Akkordeon, Mandolinen, Block- und Querflöten, wozu eigens ambitionierte Amateurmusiker aus der Region angeheuert worden waren. Die Übergänge zwischen den vielfach verstörenden (Dis-)Harmonien des Opernorchesters und den Weisen des Orchesters zum Einzug neuer Gefangener gerieten außerordentlich wirkungsvoll.

Jens Pesel hat sich für starke Bilder entschieden. Im Hintergrund sind Fotos der authentisch überlieferten Orchestermitglieder angebracht, eine Rampe führt eindeutig in die Gaskammer. Über ein kleines Förderband fallen nicht mehr gebrauchte Kleidungsstücke auf die Bühne und türmen sich zu einem riesigen Stapel auf, während ständig neue Deportations-Kolonnen die Rampe hochgetrieben werden. Eindeutig ist auch die Funktion des prominent platzierten Schornsteins auf der Bühne.

Es ist beachtlich mit welchem Personalaufwand ausgerechnet ein kleineres Haus es geschafft hat, die ambitionierte Produktion würdevoll zu realisieren. Orchester und Ensemble leisten hervorragende Arbeit, darunter insbesondere die stimmlich wie szenisch eindrucksvoll agierende Anne Gjevang (Alma Rosé). Auch Kerstin Brix überzeugt als Fania Fénelon restlos. Unter der doppelten Leitung von Graham Jackson und Giulliano Betta – das Orchester ist im hinteren Teil der Bühne untergebracht, das Ensemble erhält seine Einsätze aus dem Orchestergraben – ist eine lückenlose, dichte musikalische Interpretation gelungen. Trotz vieler künstlerischer Vordergründigkeiten der Partitur hat das Werk sicherlich Chancen, auch an anderen Häusern übernommen zu werden und damit eine Entwicklung zu forcieren.

„Das Thema wird immer mehr von der Kunst übernommen werden und nicht alles wird gut sein – doch wir verlieren bald unseren Einfluss“, sagte vorher mit Anita Lasker-Wallfisch eine der letzten Überlebenden sehr treffend. Umso höher die Verantwortung der ihr folgenden Generationen.

Gekürzt veröffentlicht im Neuen Deutschland

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