Freitag, 15. September 2006

Carl Maria von Webers "Oberon" am Staatstheater Mainz

Mit Spannung war die Eröffnungspremiere in Mainz erwartet worden. Denn die Hoffnungen, die das Publikum auf den „Neuen“ setzten, kanalisierten sich auf genau diesen Moment. Matthias Fontheim, der fließend vom Schauspielhaus Graz zum Intendanten des Mainzer Staatstheaters berufen worden war, hatte bewusst ein spartenübergreifende Inszenierung an den Beginn seiner Arbeit gestellt – ohne freilich selbst Hand anlegen zu müssen.

Als Regisseur hatte er sich Philip Tiedemann geholt, den mehrjährigen Oberspielleiter von Claus Peymann am Berliner Ensemble mit Regie-Erfahrung am Wiener Burgtheater. Der Schauspiel-Regisseur wagte sich nun an Carl Maria von Webers Ober „Oberon“. Es war seine erste Begegnung mit dem Musiktheater, die Integration von Bewegung, Sprache und Musik hatte er zuvor als den „unverstelltesten Ansatz überhaupt“ bezeichnet. Ihm zur Seite stand der weit über die Mainzer Mauern hinaus gepriesene Ballettdirektor Martin Schläpfer. Gert Jonke, Ingeborg-Bachmann-Preisträger von 1977 und seit den 90er Jahren fast im Jahresrhythmus mit Auszeichnungen dekorierter Dramatiker hatte eigens eine deutsche Dialogfassung beigesteuert.

Die äußeren Bedingungen standen also im Zeichen einer viel versprechenden Kombination aus Aufbruch und bewährter Erfahrung. Viele werden sich auch noch an die bis dahin letzte, damals geglückte spartenübergreifende Produktion von Händels „Saul“ erinnert haben, als sie das Große Haus betraten, das damit vor genau fünf Jahren nach der Renovierung von Georges Delnon wieder eröffnet worden war.

Vielleicht war es auch diese enorme Fallhöhe, diese gähnende Kluft zwischen Erwartung und Gebotenem, die ein jetzt ein in weiten Teilen derart enttäuschendes Theatererlebnis bescherte. Zunächst einmal war es kaum gelungen, die verschiedenen Sparten tatsächlich miteinander in Kommunikation treten zu lassen, hier war über zwei Stunden lang bestenfalls ein geduldetes Nebeneinander zu bestaunen.

Der Puck hat sich verfünffacht und ist aus Mitgliedern des Schauspiels und des Jungen Ensembles zu einer Art Griechischem Chor gewachsen, der holprig kommentierend und lenkend durch die Handlung führt. Die Textfassung zwingt sie dabei zu teils verstörend banalem Sprechgesang. Oberon (Martin Erhard) ist nahezu handlungsunfähig, durch den Streit mit Gattin Titania hoch deprimiert und als Schatten seiner selbst ein williges Werkzeug seiner Pucks. Die lassen nun die beiden Sterblichen Hüon (Alexander Spemann) und die Kalifentochter Rezia (Kerrie Sheppard) sich ineinander verlieben und prüfen gleich den Bestand dieser zunächst nur via Traum zustande gekommenen Verbindung. Denn nur, wenn die hält, kommt Titania zu ihrem Elfenkönig zurück.

Die Protagonisten werden auf einem großen Karren nach Bedarf auf die Bühne gerollt, über die im ersten Akt ein riesiger Kopf von Carl Maria von Weber wacht. Später ist es dann ein bizarres Gerüst, auf dem sich Chor und Wassernixen tummeln. Die Ausstattung (Etienne Pluss) hat sich dazu ein paar Albernheiten einfallen lassen, lässt ein Spielzeug-Piratenschiff am Orchestergraben entlang wackeln und pflanzt einen Wegweiser gen Bagdad in die Gegend. Zu wenig für eine überdrehte Persiflage, zu viel für eine seriöse Ausdeutung. Ohnehin fehlt Konsequenz. Das fünfköpfige Ballett der „halben Menschen“ wird etwa für Scharmützel-Szenen oder den Verlockungs-Moment eingesetzt, in der Hüon von den Kalifen-Konkubinen umgarnt wird. Außerdem kommen die Tänzer der Minikaravane auf dem Weg zur Prinzessinnen-Rettung entgegen gewankt. Bewegungen wirken beziehungslos und übertrieben exaltiert. Kurz: es klappert an allen Ecken und Enden.

Musikalisch wird die Produktion von einem ausgesprochen aufmerksamen Orchester unter Leitung von Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt zusammengehalten. Im Ensemble sticht vor allem Kerrie Sheppard mit kraftvollen und dramatisch fesselnden Zügen auf, die sich stimmungsvoll ihrer Rolle annimmt. Martin Erhard bleibt als Oberon eher unauffällig, aber solide, Alexander Spemann ist zumindest an diesem Abend als Hüon stimmlich überfordert. Er stemmt die Höhen und agiert mit einem überbordenden Vibrato, das nicht nötig wäre. Lichtblicke in den kleineren Partien: Patricia Roach stattet die Rezia-Vertraute Fatima mit einem angenehm sinnlichen Timbre aus, Regina Paetzer ist als singender Puck stimmlich überaus beweglich, kann auf eine satte Tiefe zurückgreifen, ohne sie immer ausschöpfen zu müssen. Seine eigentlich dankbare Partie füllt der Chor an diesem Abend etwas zurückhaltend aus.

In verschiedenen Fassungen veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse und im Main-Echo

Keine Kommentare: