Montag, 3. April 2006

Portrait der Geigerin Julia Fischer

Mit 23 Jahren erholen sich die meisten Studenten in Deutschland von ihrer Zwischenprüfung, eifrigere unter ihnen haben gerade das Diplom in der Tasche. In die Verlegenheit, gleich mit einem Professorentitel ausgestattet zu werden, kommt in diesem Alter jedenfalls kaum jemand. Julia Fischer ist da eine Ausnahme. Ab dem kommenden Wintersemester wird sie sich die Anrede „Frau Professor“ gefallen lassen müssen. Denn sie hat einen Ruf nach Frankfurt angenommen. An der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gibt sie ein Stück von dem weiter, was sie schon seit Jahren auf den internationalen Konzertbühnen vor ausverkauften Häusern und begeistertem Publikum präsentiert: ihre Fähigkeiten, auf der Geige eine Klangwelt zu erschaffen, in die es sich abzutauchen lohnt.

Die Besonderheiten einer Kunsthochschule machen es möglich, dass eine Künstlerin bereits in jungen Jahren und selbst ohne eigenen formalen Studienabschluss die höchsten akademischen Weihen empfangen kann. Langwierige Promotions- und Habilitationsverfahren fallen hier weg. Lehraufträge wurden in Frankfurt und an anderen Musikhochschule schon öfter an junge Künstler vergeben, auf diesem Gebiet fehlt es also nicht an Erfahrung. Doch eine Professur für eine 23-Jährige ist neu. Dafür ist eine glaubhafte Fähigkeit zum Unterrichten auf Hochschulniveau nachzuweisen. Und die hat die junge Künstlerin tatsächlich im Angebot. Auch in Frankfurt hat sie bereits erfolgreich einen Meisterkurs durchgeführt und dort ganz offensichtlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Diese Erfahrung ist auch notwendig, um Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn – so könnten sie anführen – wie will sich denn ein einstiges Wunderkind in die Untiefen technischer Probleme eines Studienanfängers hineindenken können? Kann man in diesem Alter schon von einer ausgereiften Persönlichkeit ausgehen. Bei Julia Fischer kann man da wohl erst einmal guten Gewissens annehmen, dass sie auf dem besten Wege dahin ist – weiter vielleicht als mancher an Jahren älterer Kollege. Ob es auch dazu ausreicht, eine komplette Geigenklasse zu führen, wird sich heraus stellen. Auf jeden Fall hält sie sich damit nicht nur einen Karriereweg offen, der sie nach dem Ende einer Solistenlaufbahn gut ernähren kann, sie hat damit auch eine Entscheidung getroffen, die viele andere Stars der Klassik-Szene zu lange hinauszögern. Früh genug kann sie nun im Lehrberuf den ständigen Kontakt zunächst einmal zur eigenen und später zu den kommenden Künstlergenerationen halten, sie sogar prägen.

Auch sie verdankt ihre Karriere einer umfangreichen Förderung. Die in München geborene, heute international gefeierte Solistin, erhielt schon mit vier Jahren den ersten Geigenunterricht, kam bereits zwei Jahre später ans Augsburger Konservatorium. Hier wurde sie von Lydia Dubrovskaya unterrichtet. Eine Lehrerin, so verrät Julia Fischer im Internet, die Selbstkritik, Disziplin beigebracht hat. Mit neun Jahren wurde sie dann bereits an der Musikhochschule München aufgenommen, wo sie seitdem von Ana Chumachenco unterrichtet wird. Mit dem Dirigenten Lorin Maazel verbindet sie eine umfangreiche künstlerische Zusammenarbeit, zahlreiche Wettbewerbserfolge und mit Preisen versehene CD-Aufnahmen zeugen von ihrer Reputation. Mit dem Museumsorchester und dem Cellisten Daniel Müller-Schott hat sie zuletzt im Oktober vergangenen Jahres das Frankfurter Publikum in der Alten Oper überzeugt.

Ob die Weltbürgerin mit bayerischen Wurzeln ab dem Winter dann auch ihren Lebensmittelpunkt in die hessische Metropole verlegen wird, steht noch in den Sternen und darf wohl eher bezweifelt werden. Wie viele Künstler ihres Ranges, zumal noch mitten in der ersten Hälfte der Karriere, wird man es ihr wohl nicht übel nehmen, wenn sie sich kein Häuschen am Frankfurter Stadtrand bauen wird. Mobilität wird eben auch in diesem Beruf groß geschrieben.


::: INFOS :::

Julia Fischer wurde 1983 in München geboren und hat 2002 ihr Abitur an einem mathematisch–naturwissenschaftlichen Gymnasium abgelegt.

Bislang sind drei CDs mit ihr erschienen. Mit dem Russischen Nationalorchester hat sie Konzerte von Aram Khachaturian, Serge Prokofiev und Alexander Glazunov aufgenommen, gemeinsam mit Tatjana Masurenko (Bratsche), Gustav Rivinius (Cello) und Lars Vogt (Klavier) Quartette von Johannes Brahms eingespielt. Außerdem liegt eine Aufnahme mit Solowerken von Johann Sebastian Bach vor.

Die wichtigsten Wettbebwers-Erfolge:
1995: Yehudi-Menuhin-Wettbewerb
1996: Achter Eurovisionswettbewerb für Junge Instrumentalisten
1997 „Prix d‘Espoir“ der Stiftung der Europäischen Industrie

Ihr momentanes Repertoire umfasst über 40 Werke mit Orchesterbegleitung und etwa 60 Werke der Kammermusik
Julia Fischer spielt auf einem italienischen Instrument von Jean Baptiste (Giovanni Battista) Guadagnini aus dem Jahre 1750

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt

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