Montag, 15. Januar 2007

Mit kluger Lichtregie und spartanischem Bühnenraum: Debussy-Oper "Pelléas et Melisande" am Staatstheater Mainz

Mit kluger Lichtregie und spartanischem Bühnenraum gelingt am Mainzer Staatstheater eine überzeugende Inszenierung von Debussys Oper „Pelléas et Melisande“.

Die dritte Operninszenierung am Mainzer Staatstheater ist mit besonderer Spannung erwartet worden. Nach den eher enttäuschenden Produktionen von Carl Maria von Webers „Oberon“ und Mozarts „Zauberflöte“ stand nun, zum ersten Mal an diesem Haus, Claude Debussys Fünfakter „Pelléas et Mélisande“ auf dem Programm. Als Regisseurin konnte Sandra Leupold gewonnen werden, die vor Jahren mit ihrem „Don Giovanni“ auf sieben Stühlen in der Berliner Kulturbrauerei für Aufsehen gesorgt hatte. Damals kam die Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny ohne Kostüme und Bühnenbild aus, auch in Mainz konzentriert sie sich jetzt komplett auf eine minutiöse Personenführung ohne jegliche optische Ablenkung.

Gänzlich leer ist der Bretterboden, den Moritz Nitsche hat bauen lassen, der Blick des Zuschauers dringt ungehindert bis zur Bühnentechnik. Auch die weit geschnittenen Kostüme sind schlicht und neutral, lediglich zweckmäßige Körperverhüllungen, die weiter keine Rolle spielen. Inmitten dieser spartanischen Szenerie entsteht das schonungslos zu beobachtende menschliche Drama zwischen Mélisande, dem so unwirklich scheinenden Mädchen, das von Golaud erst im Wald gefunden und dann geheiratet wird. Beängstigend langsam und zäh, aber unaufhaltsam entwickelt sich der Konflikt zwischen ihm und seinem Halbbrunder Pelléas, der sich zu der geheimnisvollen Schwägerin hingezogen fühlt und dessen Gefühle von ihr auch beantwortet werden. Das Unheil nimmt seinen Lauf, in Eifersucht ersticht Golaud den Bruder, verwundet seine schwangere Mélisande.

Dieser Inszenierung kann man sich kaum entziehen, so unmittelbar ist ihre Wirkung. Sandra Leupold lässt ihre Protagonisten intensiv miteinander kommunizieren, stellt gleichzeitig deren Unfähigkeit zur Verständigung bloß. Dazu lässt sie die Handelnden im Zeitlupentempo den Bühnenraum ertasten - stets begleitet von Ernst Schießls Lichtgestaltung. Licht und Schatten sind zentrale Motive von Maurice Maeterlincks Text. Schießl und Leupold haben sich dieses Thema als zentrales Werkzeug ausgesucht. Das Licht wird zur Kulisse, es ersetzt Räume und damit Grotten, Türme und Wälder. Und plötzlich wirkt ein dunkler Rest zwischen zwei hell erleuchteten Abschnitten schier unüberwindbar. Dem gegenüber stehen wenige betont realistische Hilfsmittel, etwa Mélisandes bodenlanges rotleuchtendes Haar oder der todbringende Dolch von Golaud.

Dem optischen Eindruck trägt das Ensemble auch musikalisch adäquat Rechnung. In den Titelpartien können Richard Morrison und Patricia Roach durchgängig auf hohem Niveau überzeugen. Vor allem die kanadische Mezzosopranistin gibt eine bestechend schemenhafte Mélisande, die zwischen Zwang und Entrückung um ganz menschliche, fast alltägliche Gefühlswindungen und deren Ausdruck ringt. Stimmlich setzt sie in dieser Aufführung jedenfalls Maßstäbe. Seiner Rolle angemessen ist Armand Arapian ein solider bis zuweilen etwas grob wirkender Golaud. Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt fügt ein stimmiges Gesamtwerk zusammen. Das Orchester schwingt sich in Sachen Präsenz und Klangspektrum zu neuen Höhenflügen auf, ohne sich dabei zum Selbstzweck zu inszenieren, zudem funktioniert die Kommunikation zwischen Graben und Bühne hervorragend. Die Opernsaison eines in dieser Sparte bisher etwas glücklosen Intendanten Matthias Fontheim hat begonnen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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