Freitag, 23. Juni 2006

Verdis "Maskenball" im Stadttheater Regensburg

"Die Stimme des Gewissens zählt nicht mehr. Nicht Freundschaft, nur Liebe."

Das lässt sich im Eifer ja schnell einmal so sagen, doch damit wird auch eine Geisteshaltung offenbar, die eines Königs kaum würdig sein dürfte. Schon gar nicht dann, wenn sich dieser König im Gegenzug der Liebe und Achtung seines Volkes derart sicher ist, dass er sämtliche Warnungen von einer Verschwörung in den Wind schlägt. Auf dem Weg zum Ruhm sind auch bei ihm so manche Leichen und deren Angehörige übrig geblieben, die nun ihre Stunde geschlagen sehen.

Giuseppe Verdis "Maskenball" hatte in Regensburg Premiere. Es kann genommen werden, dass die unaufdringliche Inszenierung von Gregor Horres und das in sich ruhende Bühnenbild von Frank Lichtenberg tadellos aufgingen. Horres ist es gelungen, seinen Protagonisten ein Höchstmaß an freier Bewegung zu ermöglichen, ohne dabei beliebig zu wirken.
Lichtenbergs Bühne weist scharfe Konturen auf und er spielt gekonnt mit den Perspektiven der schrägen Böden. Gleichzeitig blitzt schon fast eine barocke Ästhetik von Symmetrie und fließenden Übergängen hindurch. Auch die Dimensionen, die trotz sparsamer Bestückung einen voll ausgenutzten Raum suggerieren, nehmen sich bestens aus.

Vor dieser Kulisse spielt und singt es sich dann auch schön befreit und kultiviert. Die Besetzung weist dabei keinen einzigen Fehlgriff auf, im Gegenteil - im Premieren-Ensemble scheint ein gesunder Ehrgeiz vorzuherrschen, der ohne falsches Konkurrenzdenken eine optimale Leistung generiert hat.

Drei Mal wird die Verwandlung zelebriert, ein ständiges Maskieren und Demaskieren prägt neben der Liebesgeschichte die Szenerie. Dabei kommt dann der Aspekt der Verschwörung etwas zu kurz. Doch zurück zu den Masken. Das erste Mal werden sie demonstrativ aufgezogen, als sich der Hofstaat kollektiv zu Fischern wandelt, um der Seherin Ulrica das Handwerk zu legen. Später ist es Amelia, deren Maskerade erst den Geliebten und die Entkostümierung schließlich den Gatten retten soll. Und natürlich das große Finale beim Maskenball selbst. Jede dieser Verwandlungen wird hier zur Gänze ausgekostet.
All das wäre nicht möglich ohne hellwache Akteure. Allen voran sicherlich Christina Lamberti, die in der Rolle der Amelia, Renatos Frau und Riccardos Geliebter, nahezu restlos überzeugen kann. Zwar hat ihre Stimme etwas zuviel Schärfe in den Spitzentönen, dafür kann sie die aus dem Stand ansteuern. Die mittleren Register hingegen strahlen eine natürliche Wärme aus, die sie klug einzusetzen weiß. Als König Riccardo fasziniert Jung-Hwan Choi mit brillant timbriertem Tenor und einem ausnehmend wendigen Spiel.

Hierin steht ihm sein Vertrauter und Gegenspieler wider Willen Jin-Ho Yoo (Renato) in nichts nach. Kraftvolle baritonale Stärke und ungekünstelte Aktion auf der Bühne zeichnen ihn aus. Während seine Ehefrau sich im ersten Bild des dritten Aktes nichts sehnlicher wünscht, als noch einmal ihren Sohn in die Arme schließen zu können, gibt er sich dem Alkohol hin und betet stumm ihr überlebensgroßes Abbild an. Auch später ist er nur noch ein mühsamer Herr seiner Sinne, wenn er den Verschwörern temporäre Bruderschaft andient und versucht, seine Frau zu zwingen, die "Glücksfee" bei der Auswahl von Riccardos Mörder zu spielen.

Aber auch die Darsteller in den kleineren Rollen können überzeugen, ernten beim Schlussbeifall sogar die brausendsten Stürme. Völlig zu Recht. Nahezu atemberaubend ist das, was Jordanka Milkova mit der Figur der Ulrica anstellt. Eine derart gehaltvolle Stimme mit einer solch souveränen Führung kombiniert hört man selten. Sicher umfasst sie einen beeindruckenden Tonumfang, ohne an Volumen oder Färbung einzubüßen. Gespenstisch die Szene im zweiten Bild des ersten Aktes.
Hier beschwört sie aus einem Feuerkreis heraus stimmungsvoll die Geister, die ihr die seherischen Fähigkeiten verleihen sollen. In dieser Künstlerin steckt noch eine Menge
Potenzial, das sich Regensburg auf alle Fälle zu Nutze machen muss.
Mit Ilona Vöckel hat sich Gregor Horres zudem eine ideale Besetzung des Dieners Oscar gesichert. Mit leichtläufiger Stimme und hübschem Spielwitz nimmt sie die Herausforderung dieses Zwischen-Charakters mühelos an. Seymur Karimov (Silvano), Martin-Jan Nijhof (Samuel) und Johann Smari Saevarsson (Tom) komplettieren das Ensemble auf hohem Niveau.

Einziger Wermutstropfen an diesem Abend ist die musikalische Leitung. Nur in Ansätzen gelingt es Georgios Vranos, das Geschehen auf, vor und hinter der Bühne überein zu bringen und lässt die Solisten damit oft genug alleine. Denen gelingt es zwar immer wieder, Anschluss zu finden, einfacher wird es ihnen damit aber nicht gemacht. Auch das Orchester, das an diesem Tag was die Intonation angeht, nicht gerade in Topform ist, gerät dadurch ab und an ins Schlingern. Solide der Chor, stimmungsvoll im letzen Akt vom dritten Rang herab.
Einem darüber hinaus rundherum gelungenen Abend tut das jedoch keinen Abbruch. Die Inszenierung erweist sich als höchst lebendig und schlüssig, verliert nur selten an Tempo.
Sie gewinnt zunehmend von Akt zu Akt, kommt ohne Übertreibungen aus und wirkt dennoch überaus präsent.

Diese seltene Kombination weist Gregor Horres als sensiblen und umsichtigen Theatermann aus. Vielleicht lässt sich für die kommenden Aufführungen noch eines klären - ist Riccardo nun ein "Conte", wie es der gesungene Text nahe legt, oder doch ein "König", wie der deutsche Übertitel behauptet...?

Veröffentlicht in der Telezeitung / Regensburg

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