Wer einmal erleben möchte, wie man eine dreihundert Jahre alte Oper absolut frisch und ungezwungen auf die Bühne bringt, ohne dem Zuschauer auch nur einen Moment der Langeweile zu ermöglichen, dem sei die jüngste Musiktheater-Produktion am Mainzer Staatstheater ganz dringend ans Herz gelegt. Zugegeben, „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell dauert ohnehin nur eine Stunde und ist auch samt der eingebauten Zugaben, die der Alte-Musik-Experte Michael Schneider und Regisseurin Arila Siegert eingebaut haben, nicht länger als ein Fernsehspiel. Doch könnte gerade die kompakte Form ja durchaus dazu verleiten, die Gestaltung auf die leichte Schulter zu nehmen.
Nicht so in Mainz. Arila Siegert gelingt ein ungemein lebendiges Beispiel für geschickte, spannungsvolle Personenführung und beziehungsreiche Interaktionen. Die Geschichte an sich ist schnell erzählt und bietet doch zahlreiche Möglichkeiten zur Dramatisierung, die von der Regisseurin nahezu ausnahmslos genutzt worden sind. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Produktion hat keinen aktionistischen Anstrich. Im Gegenteil: Jede der Szene wird genau beleuchtet, Arila Siegert gönnt sogar jedem Abschnitt sein eigenes Tempo, so dass an diesem Abend ein intensives Eintauchen ebenso stattfindet, wie ein rasantes Drüberfegen in Action-Manier. Passgenau darauf abgestellt sind die klar definierten Kostüme von Susanne Maier-Staufen. Die gleiche Schwarz-weiß-Konsequenz setzt Hans Dieter Schaal in einem Bühnenbild, das mit wenigen, aber effektvollen Elementen auskommt fort. Zehn Boote können sich bei Bedarf problemlos und effektvoll in einen Hexenwald und wieder zurück wandeln.
Purcells „Masque“ in drei Akten geht auf eine Episode aus dem vierten Buch von Vergils „Aeneis“ zurück. Das Textbuch hat der englische Dichter Nahum Tate geliefert. Dido, Königin von Karthago, hat sich in den trojanischen Kriegsherrn Aeneas verliebt. Da sie aber ihrem Gatten auf dem Sterbebett versprochen hat, sich nicht mehr zu vermählen, sondern nur noch um das Wohl der Stadt zu kümmern, entsteht für sie der innere Konflikt. Durch eine List wird Aeneas wieder auf See geschickt, Dido fühlt sich betrogen und stirbt sozusagen an gebrochenem Herzen.
In Mainz wird zu Beginn Claudio Monteverdis „Lamento d'Arianna“ als warnendes Beispiel für Dido eingeblendet. Regina Pätzer vom „Jungen Ensemble“ ist eine empathische wie gehaltvolle Erzählerin, die der Szene eine sehr intime Wirkung mitgibt. In der Rolle der Dido überzeugt Tatjana Charalgina von Anbeginn mit gleichermaßen fein ausgesungenen Piano-Stellen wie mit der Steigerung hin zu enormer leidenschaftlicher Strahlkraft. In Patrick Popeschin steht ihr ein kerniger, beweglich und vielseitig auftretender Dido zur Seite. Scharf konturiert und mit brillanter Stimmgebung gibt der Altus Dmitry Egorov (Junges Ensemble) eine durch und durch dämonische Hexengestalt ab. Anne Ganzenmüller wirkt als Belinda mitunter etwas zurückhaltend. Ebenfalls Mitglied des „Jungen Ensembles“ kann sie aber sicher ihr angenehme Timbre und darstellerisches Talent künftig noch selbstbewusster ausbauen. Ihre Kollegin Aurora Perry indes zeigt eine prickelnde Bühnenpräsenz, ist stimmlich enorm präsent und bereichert die Szenen, an denen sie beteiligt ist, in ganz außerordentlicher Weise.
Vor allem der Chor aus Studierenden der Musikhochschule Mainz bringt immer wieder zusätzlichen Schwung ins Geschehen. Klanglich stets sehr präzise und differenziert kommentiert das neunköpfige Ensemble das Geschehen, füllt vital die Szenen. Der Auswahl des Staatsorchesters, das für seine glasklare Interpretation großen Applaus erhält, ist ein großes Kompliment für die engagierte Erfüllung dieser außergewöhnlichen Aufgabe auszusprechen.
In unterschiedlichen Fassungen erschienen, u.a. in der Frankfurter Neuen Presse
Freitag, 9. Oktober 2009
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