Mittwoch, 21. Oktober 2009

Elektronisches Ohrenkino im Wiesbadener Staatstheater

Um folgende Erkenntnis gibt es leider keinen Umweg: Elektronische Musik ist, soweit nicht tanzbar, kein Publikumsmagnet. Die kleine Gemeinschaft eingeschworener Kenner und Neugieriger ist im Foyer des Staatstheaters unter sich. Eingeladen hat die musik-theater-werkstatt des Hauses, die unter der Leitung von Ernst-August Klötzke steht und glücklicherweise mit der notwendigen Unterstützung der Gesellschaft der Freunde des Staatstheaters rechnen kann. Vier Veranstaltungen stehen in dieser Spielzeit im Programm, die erste winkt gar mit einem besucherfreundlichen Titel. „Ohrenkino“ klingt freundlich und entgegen kommend. Nach geschlossenen Augen und Bildern, die im Kopf entstehen können. Was also könnte also gegen einen Besuch sprechen?

Der elektronischen Musik haftet das Etikett „unverdaulich“ oder zumindest „schwer verträglich“ an. Nur selten kann man den Interpreten im Konzert zuschauen, was zumindest einen wichtigen Faktor für eine musikalisch gestaltete Abendplanung ausschließt. Doch gerade bei diesem Konzert wird es dem Zuhörer leicht gemacht. Die Werke, die aus den Lautsprechern neben den Stuhlreihen schallen, könnten auch die Soundtracks zu Filmen oder die Hintergrundgeräusche für Hörspiele liefern. Teilweise zumindest und in stark konzentrierter Form. Auf jeden Fall hat sich der Weg für all diejenigen gelohnt, denen es mit Fantasie und Aufgeschlossenheit gelingt, sich auf ein klug konzipiertes Angebot einzulassen.

Das Publikum wird selbst gefordert, muss den „fehlenden“ Teil durch eigene Vorstellungskraft ersetzen oder das Gebotene einfach als reines Programm auf sich wirken lassen. Allein der nach vorne gerichtete Blick auf den Gold verzierten Theater-Auf- und Eingang bietet jedenfalls keine zusätzliche Erkenntnis. Höhepunkt des Abends ist sicherlich die Uraufführung von Bernd Leukert, der eigens dazu auch angereist war. Sein Titel „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ stammt nicht von ihm, sondern von Erfinder Philipp Reis, der den Satz in sein gerade erfundenes Telefon sprach, um es erstmals zu testen.

Gerade diese Uraufführung beweist die spannenden Hörerlebnis-Möglichkeiten dieses Genres, die gleichzeitig unterhaltend und anregend sein können. Da mischen sich Zugdurchsagen mit Glockenläuten, da zerreißt ein Blitz krachend die Szene, Orchester-Tuttistellen alternieren mit exotischen und synthetisch erzeugten Musikfetzen. Das Werk ist eine Produktion dessen Wirksamkeit auf einem besonderen Rhythmus-Ansatz und einer Musikalität, die nicht zwingend auf Tönen basieren muss, resultiert. Spannend wie ein Krimi kommt die 1996 veröffentlichte Komposition „La grande valleé“ von Lionel Marchetti daher, und auch Alain de Filippis „Ton Dieu nes'appell-ti-il pas ego?“ aus dem Jahr 1993 und Jérome Noetingers „Gloire à...“ von 1991 legen eine vielsagende Dramaturgie offen.

  • Die nächste Veranstaltung der musik-theater-werkstatt findet am 9. November 2009 um 19.30 Uhr im Foyer des Staatstheaters statt. Das Ensemble Chronophonie spielt Werke von Mauricio Kagel und Vinko Globokar.
  • Karten: 0611-132325 oder vorverkauf@staatstheater-wiesbaden.de
  • Weitere Informationen
Veröffentlicht im Wiesbadener Kurier

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