Samstag, 12. Januar 2008

"Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Brecht / Weill am Staatstheater Mainz

Als die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ am 9. März 1930 am Neuen Theater zu Leipzig uraufgeführt wurde, waren in Deutschland 3,2 Millionen Menschen ohne Arbeit. In der fragilen Weimarer Republik ein weiteres Pulverfass, das drei Jahre später mit zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führte. Inmitten dieser unruhigen Epoche hatten Kurt Weill und Bertolt Brecht ein Stück geschrieben, in dem es um gesellschaftliche Utopien, grenzenlose Freiheit und den Zusammenbruch eines Traums an seinen eigenen Widersprüchlichkeiten geht.

In diesem Werk befasste sich Matthias Fontheim, Intendant des Mainzer Staatstheaters, nun zum zweiten Mal am eigenen Haus mit einer Oper. Und auch mit Brecht/Weill beschäftigte er sich damit zum zweiten Mal, nachdem er vor 16 Jahren mit der „Dreigroschenoper“ das Niedersächsischen Staatstheater Hannover wieder eingeweiht hatte. Erzählt wird die Geschichte der „Netze-Stadt“, die von drei Verbrechern gegründet wird, um die Männer anzuziehen, die in der Umgebung durch Goldfunde reich geworden sind. Die Stadt gerät rasch in den Ruf, dass hier alles erlaubt sei. Nach einer ersten Euphorie droht ein Hurrikan die Stadt zu zerstören. Nachdem er die Stadt verschont, geht es in Mahagonny weiter wie bisher. Fress- und Sauforgien, Prügeleien und Prostitution feiern Hochkonjunktur. Wer zahlen kann, ist im Recht, wem es an dieser Stelle fehlt, wird schließlich hingerichtet. All das geschieht hier in einem riesigen Auge, der Einheitsbühne von Susanne Maier-Staufen.

Die Mahagonny-Gründer sind in Mainz drei stilisierte Alt-Nazis, die sich einen neuen Staat erschaffen. Rasch sind die eindeutigen Mäntel wie eine zweite Haut abgestreift, die neue Identität ist geschaffen. Im Hintergrund werden Szenen aus den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen gezeigt. Fontheim zieht in seiner Deutung eine Parallele zur deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Hurrikan ist die atomare Bedrohung durch die Hegemonialkräfte der geteilten Welt, das politische Tauwetter und die deutsche Einheit retten die Gesellschaft zumindest einstweilen vor der Katastrophe. Doch nun beginnt erst recht eine ungebremste Zügellosigkeit mit einer nicht enden wollenden Konsumwelle. Ihr Opfer: Jim Mahoney (Kor Jan Dusseljee für den erkrankten Alexander Speemann). Er kann seine Zeche nicht zahlen und wird vom Mob erschossen.

Fontheims gefährliche Parabel geht erstaunlich flüssig auf und wird auch vom Publikum zum überwiegenden Teil freundlich aufgenommen. Textlich und musikalisch wird nicht eingegriffen. Vor allem das in Salon-Besetzung aufgelaufene Philharmonische Staatsorchester Mainz überzeugt an diesem Abend. Unter der Leitung ihrer Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt bringen die Musiker die Handlung in Schwung, leuchten auch die hintergründig verwobenen Zwischentöne des Werks effektvoll aus. Auf der Bühne ist insbesondere Kor Jan Dusseljee mit einem faszinierend klaren Rollenverständnis zu erleben. Edith Fuhr übernimmt als Leokadja Bebick ihre letzte große Rolle in Mainz und beschert sich und dem Publikum damit einen würdigen Abschied. Abbie Furmansky kann in der Rolle der Jenny Hill mit unverstellter Spielfreude überzeugen.

Veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse

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