Montag, 20. Februar 2006

Zum Kritiker/Schauspieler-Skandal im Schauspiel Frankfurt

"Hau ab, Du Arsch!" – mit diesen Worten mag wohl niemand gerne in die Theatergeschichte eingehen. Wobei man mit dem menschlichen Hinterteil als Beschimpfungs-Synonym in ganz prominenter Gesellschaft steht. Hat nicht mit Joschka Fischer ein anderer Frankfurter einen ähnlich schönen Satz geprägt, als er 1984 Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen die historischen Worte „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ entgegenrief? Doch gesellschaftsfähig ist die öffentliche Beschimpfung dann doch noch nicht. Weder im Bundestag noch im Theater. In beiden Häusern hat es Konsequenzen.

Elisabeth Schweeger hatte nun die undankbare Aufgabe, sich zu entscheiden. Seit September 2001 ist die Dramaturgin Intendantin des Frankfurter Schauspiels und dürfte am Freitag vor einer der schwersten Entscheidungen ihres Lebens gestanden haben. Die zentrale Frage: „Wie weit darf ein Schauspieler gehen?“, musste schnell beantwortet werden. Der Schauspieler Thomas Lawinky hatte die Grenzen von Anstand und Professionalität unbestritten hinter sich gelassen, als er in der laufenden Aufführung von Eugène Ionescos „Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes“ dem FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier dessen Block entriss und ihn später mit obigen Worten aus dem Saal in der „schmidtstraße12“ verabschiedete.

Die Intendantin hat sich am Freitag entschieden. Das Arbeitsverhältnis sei „einvernehmlich“ beendet worden, heißt es in einer Pressemitteilung. Der Schauspieler habe „überreagiert und die persönliche Integrität eines Zuschauers, eines Kritikers, verletzt“, teilt die promovierte Philosophin mit. Sie selbst hat den Abend nicht erlebt, sich aber nach Kenntnisnahme des Vorfalls bei Stadelmaier entschuldigt, schreibt sie. Das Verhalten Lawinkys entspräche nicht ihrem Verständnis von Kunst und habe „außerhalb des künstlerischen Konzepts und der Festlegung der Inszenierung“ gelegen.

In einer ganz zentralen Feststellung offenbart sie aber auch ihr Verständnis von dem, was Kunst darf, und ihr persönliches Führungsverständnis: „Es liegt in meiner Verantwortung und es ist meine Aufgabe, der Kunst den größtmöglichen Gestaltungsfreiraum zu eröffnen. Dies ist jedoch immer begrenzt durch die Fürsorge gegenüber dem Zuschauer.“ Von einer Fürsorge ist nur selten die Rede, wenn Inszenierungen gerne auch mal die Grenzen des Publikumsgeschmacks strapazieren.

Doch wo fängt denn die Befindlichkeit des Zuschauers an? Dann, wenn er ein Stück bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet und sich um einen anregenden Theaterabend gebracht sieht? Dann, wenn er zum Mitmachen aufgefordert wird, wenn er doch nur passiv aufnehmen wollte? Oder erst dann, wenn er genötigt wird, einen toten Schwan zu halten, der gerade aus der Sitznachbarin herausgeholt wurde, wie es nun dem Kritiker widerfahren ist? Dafür musste ein ausgerasteter Schauspieler nun gehen.

Neben der Fürsorgepflicht gegenüber dem Publikum hat die Intendanz als Arbeitgeber auch eine Schutzfunktion ihrem Personal gegenüber. Inmitten dieses Loyalitätskonflikts hat sich Elisabeth Schweeger, sicherlich auch nicht zuletzt wegen des verhältnismäßig enormen Drucks, für eine „einvernehmliche“ Lösung entschieden: die sofortige Vertragsauflösung. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU), die Aufsichtsratsvorsitzende der Bühnen GmbH ist, hatte das zuvor gefordert. Die Karriere von Joschka Fischer ist bekannt.

Veröffentlicht in NEWS Frankfurt

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